MUSIK

„Der Rollback macht mir Angst“

17. Aug. 2016

Der Kanadier Mark Andrew Hamilton ist mit seinem Indiefolk-Projekt Woodpigeon trotz etlicher Alben noch ein Geheimtipp. Wir baten den schwulen Songwriter zum Interview

17.08.16 – Mark, dein neues Album hat ein ziemlich deprimierendes Cover – das schwarz-weiße Aquarell einer Trauerweide. Dann heißt es auch noch „Trouble“. Warum war das nötig? Die Platte sollte sich um die Themen Traurigkeit, Sex und Rhythmus drehen. Wir haben im Vorfeld viel über Wörter mit einer doppelten Bedeutung gesprochen: „Devastating“ kann zum Beispiel verwüstend heißen, wie bei einem Hurrikan, aber auch umwerfend im Sinne von schön. Das Wort „trouble“ hat für mich auch eine sexuelle Komponente, so wie in „that boy is trouble“ oder „let’s get into trouble“. Der kahle Baum auf dem Cover ist ein Symbol für Endlichkeit, aber auch dafür, dass etwas irgendwann wieder zum Leben erwacht. Ich dachte eine Zeit lang, ich würde nie wieder Musik machen. Aus diesem Grund bin ich komplett ohne Erwartungen an die Kompositionen rangegangen, es war mir egal, was die Leute über die Songs denken würden. So konnte ich alles sagen und machen, was ich wollte. Das war ein großer Heilungsprozess für mich.


Du hast mal gesagt, dass du in Bezug auf Musik eher in die Vergangenheit schaust, als zu sehen, was gerade um dich herum passiert. Bis du ein Nostalgiker? Ich glaube, ich war mal einer. Jetzt versuche ich aber, im Moment zu leben. Ich hatte zwischen dieser Platte und der letzten mit Depressionen zu kämpfen. Nachdem ich die überwunden hatte, war mir klar, dass ich dankbar sein sollte für alles, was kommt. Ich hänge der Vergangenheit nicht mehr nach und freue mich auf neue Abenteuer und Erinnerungen.

Im Video zu deiner neuen Single „Whole Body Shakes“ kombinierst du Waacking-Tänzer (Waacking ist eine aus der LGBT-Community stammende Tanzform, die in den 70er-Jahren kreiert wurde. Ähnlich dem Voguing; Anm. d. Red.) mit Landschaftsbildern aus Island. Eine ungewöhnliche Kombination, was ist die Idee dahinter? Ich wollte mit den Videos zu dieser Platte jungen, wundervollen queeren Menschen eine Plattform geben und bestimmte Aspekte queerer Kultur in den Vordergrund rücken. Ich möchte gerne noch ein Video für „Devastating“ drehen, in dem ein paar tolle Dragqueens aus Wien mitspielen sollen. Ich wollte etwas zeigen, das fierce und stark ist und für mich ergeben die Aufnahmen von Island in Kombination mit den TänzerInnen ein wirklich starkes Bild. Waacking ist so eine tolle Tanzform.
Ich hab sogar bei den PerformerInnen aus den Video ein bisschen Unterricht genommen. Wir sind zusammen nach Los Angeles gefahren und dort durch die Waacking-Szene in Nachtclubs und auf Partys gezogen. Eines Nachts trafen wir sogar einen Waacker aus Thailand, was ich total abgefahren fand. Ich liebe diesen Tanzstil, weil es mehr um die Gemeinschaft und den Spaß geht als beim Voguing. Ich fand den Tanzunterricht total toll, weil immer, wenn jemand vorgetanzt hat, die anderen ihn oder sie unterstützt und applaudiert haben und so weiter. Die TänzerInnen im Video sind drei der großartigsten Menschen, die ich kenne. Einer von ihnen ist gerade an einer sehr guten Tanzschule in Salzburg angenommen worden. Ich bin wirklich sehr stolz auf dieses Video.

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Auf Facebook postest du öfter mal zu LGBTI-Themen. Haben queere KünstlerInnen nach Orlando und in Zeiten des konservativen Rollbacks eine größere Verantwortung, sich öffentlich zu diesen Themen zu äußern? Ich glaube nicht, dass KünstlerInnen verpflichtet sind, in ihren Songtexten diese Themen anzusprechen, aber ich bin der Meinung, dass sie die Pflicht haben, sich für die Rechte anderer einzusetzen, die nicht in so einer privilegierten Position sind, keine Plattform haben. In der LGBTI-Community gibt es eine Menge Menschen, die weniger Privilegien haben als ich – ein großer, bärtiger Cis-Mann. Ich kann über die Straße gehen und werde nicht verkloppt, weil ich nicht sofort als Schwuler erkannt werde. Aber jemand, der unmissverständlich als schwul oder tuntig gelesen wird, muss immer mit der Angst leben, zusammengeschlagen zu werden. Ich bin mir dieses „Vorteils“ jeden Tag bewusst. Ich versuche nicht, für Teile unserer Community zu sprechen, zu denen ich nicht gehöre, möchte mich aber eindeutig solidarisch mit ihnen zeigen: Ich kann nicht für Frauen sprechen, für People of Color oder Trans*menschen, aber ich kann ihnen einen sicheren Raum geben, in dem sie eine Stimme haben, in dem sie sich selbst, ihre Ansichten und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen können. Der konservative Rollback, den du ansprichst, macht mir große Angst. Ich habe Angst vor Menschen wie Hofer oder Parteien wie der FPÖ. Ich kann nicht glauben, dass sie in Österreich, einem Land, das ich sehr liebe, so nah an die Macht herankamen. Ich habe Angst vor Trump. Ich habe Angst vor Waffen. Ich bin erschrocken darüber, in einer Welt zu leben, in der ich jeden Morgen lesen muss, dass schon wieder Bomben an einem Ort explodiert sind, den ich liebe, wie zum Beispiel Istanbul, oder an anderen Orten wie Bagdad, und dass mich das Ganze von Mal zu Mal weniger überrascht. Ich könnte kotzen, wenn ich sehe, wie rechte Medien diese Tragödien instrumentalisieren, um Stimmung gegen eine komplette religiöse Gruppe zu machen. Ich bin wirklich kein religiöser Mann, aber ich stehe an der Seite jener Menschen, die muslimischen Glaubens sind und einem Islam folgen, der mit all dieser Gewalt nichts zu tun hat.


Du hast eine Zeit lang in Istanbul gelebt. Was ging in dir vor, als du von den gewalttätigen Ereignissen im Zusammenhang mit dem Trans*- und dem Gay-Pride dort erfahren hast? Ich war vor allem sauer, weil ich es quasi erwartet hatte. Ich habe eine liebevolle Bindung zu Istanbul und der Türkei, aber ich weiß auch, wie gefährlich es dort für LGBTI-Menschen sein kann. Als ich in Istanbul lebte, hing ich öfter in einer schwulen Bar rum. Ich lernte dort eines Abends einen niedlichen türkischen Typen kennen. Er brachte mich nach Hause, wollte mich aber nicht küssen, weil er Angst davor hatte, verhaftet zu werden. Wenn man sich anschaut, wie die Staatsmacht mit den Menschen umgegangen ist, die demonstriert haben, und es dann mit dem polizeilichen Verhalten gegenüber den Pride-Gegnern vergleicht, wird schnell und schmerzhaft deutlich, was für ein Regime Recep Tayyip Erdoan in der Türkei führt. Während meiner Zeit dort fanden gerade die Taksim-Proteste statt, keine zweihundert Meter von unserem Haus entfernt. Wir bekamen oft Tränengas ab, wenn wir zum Beispiel auf unserem Hausdach abhingen und Helikopter mal wieder das Zeug versprühten, um die Straßen zu räumen. Eines Tages waren eine Million Leute unterwegs und protestierten. Ich schaute eine meiner türkischen Freundinnen an und sagte: „Das sind so viele Menschen! Die Dinge werden sich verändern.“ Sie antwortete nur: „Es leben 15 Millionen Menschen in Istanbul und 14 Millionen sind nicht hier. Wir sind einfach so dermaßen unterlegen.“ Ich hoffe wirklich, dass sich die Lage für die Türkei und die türkische LGBTI-Community verbessert.

Du hast für die Huffington Post mal einen Text darüber verfasst, was es heißt, ein schwules Liebeslied zu schreiben. Auch in Interviews wirst du oft gefragt, ob es eine schwule Art des Songwritings gibt. Warum ist das so wichtig? Ich denke, die Leute suchen einfach nach einem Anknüpfungspunkt. Am Ende bin ich nur ein bärtiger Mann mit einer Gitarre. Ich hab früher für ein Magazin in Kanada viele schwule Songwriter interviewt, Joel Gibb von den Hidden Cameras oder Owen Pallett zum Beispiel. Die beste Antwort, die ich dabei zu diesem Thema bekommen habe, war von Joel: „Wenn ich als Schwuler nicht schwul schreiben würde, hätte ich das Gefühl, dass meine Musik einfach nur ein Haufen Scheiße wäre.“ Was ich sagen will: Wenn meine Musik nur einen einzigen jungen queeren Menschen dazu ermutigt, sich eine Gitarre zu schnappen oder sich ans Klavier zu setzen und mit einem guten Gefühl über die eigenen Probleme und Erfahrungen zu singen, bin ich ein glücklicher Mann.

Interview: Jan Noll

Woodpigeon: Trouble (Wiaiwya/Cargo Rec.), ab 18.08. erhältlich

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