Fußball

Wo bist Du beim Finale?

12. Juli 2014

Am Sonntag, ab 21:00 Uhr sollen also deutsche Fußballträume wahr werden. Zum dritten Mal stehen sich Argentinien und Deutschland in einem WM-Endspiel gegenüber. Und auch immer mehr Queers sind dem Fußballfieber verfallen und bei den zahlreichen Public Viewings am Start. Wie sieht das aber bei uns in der Redaktion aus? Welche Meinung hat die Siegessäule zum Thema Fußball und wie wird sie diesen angeblich so historischen Moment des WM-Finales begehen. Von euphorischen Jubelstürmen über Expertenwissen bis hin zu blanker Ablehnung und tiefsitzenden Traumata haben wir dabei so einiges zu Tage gefördert. Viel Spaß beim Lesen!

Jan Noll, Chefredakteur

Erneut durfte man mit ansehen, wie zur Fußballweltmeisterschaft enthemmt dem „In diesem Kontext ist das ok“-Nationalismus gefrönt wurde. Doch neben Rückspiegel-Präservativen in Schwarz-Rot-Gold und anderem Nippes in den deutschen Nationalfarben, erreichten die bierseligen Schland-Exzesse 2014 einen traurigen und geschmacklosen Höhepunkt. Facebook sei Dank. Da zerschmetterte hübsch gefilmt ein deutscher Maßkrug bullenklötig ein brasilianisches Cocktailglas, Bundesadler fickten auf Karikaturen französische Hähnchen in den Arsch und Angela Merkel grinste feist gephotoshopt vom Cristo Redentor hoch über Rio de Janeiro – und das waren nur die harmloseren Kreationen. Von Kriegssymbolik und anderen Gewaltphantasien rund um das euphorisch erwachte Nationalgefühl wollen wir gar nicht erst reden. Sicher, der Fußball als Sport kann nichts dafür, aber solange er als Ereignis solche Reaktionen in Menschen hervorruft, schaue ich lieber „Die Mädels vom Immenhof“. Was ich während des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft der Herren machen werde, weiß ich nicht – leider habe ich keine Ahnung, wann das stattfindet. Wer spielt denn gegen wen?

Roberto Manteufel, Redakteur

Es ist wie Silvester. Der gleiche Stress, die gleichen Fragen. Wo wirst du sein? Was wirst du machen? Und ich muss zugeben, ich liebe es. Scheiße, wirklich! Ich mit Bier in der Hand und mit Herzklopfen schaue ich 22 Männeken zu wie sie über den Rasen laufen, jauchze auf, ächze, juble, umarme meinen Nachbar. Bin das wirklich noch ich? Ein kurzer Check in mein Innerstes lässt mich beruhigt durchatmen, die Umpolung ist nur oberflächlich, ich stehe weiterhin auf Schwänze. Woher diese Begeisterung kommt? Ich habe keine Ahnung, wahrscheinlich könnte man mittels einer extrem intellektuellen Analyse in anthropologische Tiefen vorstoßen und es auf Herdentrieb herunterbrechen. Bloß wozu? Ich lasse es einfach zu, die kollektive Begeisterung, die Freude, weil so viele sich freuen, auf der Straße feiern, springen, hüpfen, johlen. Das ist er eben, der große Gleichmacher Fußball, Opium fürs Volk, und ich berausche mich genüsslich daran und hinterfrage es nicht weiter. Denn die unangenehmen Fragen, die werden sowieso ab Montag wieder da sein. Doch die haben jetzt kurz Pause. Ein Luxus in meiner westeuropäischen Blase, ich weiß, aber den gönne ich mir. Wenn da nur nicht dieser Planungsstress wäre. Meine Freunde und Bekannten, alle wollen und müssen sich koordinieren, ich werde da sein, du dort, aber wir könnten ja hierhin oder doch besser dorthin. Sozialstress pur. Eben wie Silvester. Nur aufregender. Bei Silvester kennt man ja das Ergebnis, welches um Mitternacht eintritt: Neujahr! Aber mal ehrlich – sage ich das jetzt ernsthaft? – so wie „unsere Jungs“ spielen, da wird das schon werden. Hmm, unsere Jungs, bei einigen würde ich ja gerne ... Ups, jetzt ist schon wieder die gute alte Schwuchtel in mir durchgekommen. Gott sei Dank!

Manuela Kay, Verlegerin

Ich schaue das Finale, wie auch fast alle anderen WM-Spiele, zuhause. Die Mischung aus Ballermann-artiger pseudo-Silvester-Fröhligkeit bei Deutschland-Spielen und die vielen Dummschwätzer ohne jede Ahnung von Fußball nerven mich. Das so genannte „public viewing“ (was treffenderweise übrigens eigentlich Leichenschau heißt) ist mir eher peinlich, die wenigsten verstehen, was sie dort eigentlich sehen und warten nur auf Tore, um laut rumzugrölen. Und: Ich bin für Argentinien. Weil mich zu viele Deutschland-Fahnen und der für mich unerklärbare Stolz, auf ein Land in dem man rein zufällig geboren wurde, befremdet. Ich möchte guten Fußball sehen, egal von wem. Ich gewinne eh nicht dabei. Auch „wir" gewinnen nicht, denn ich zumindest, spiele nicht mit. Guten Fußball gab es leider nicht allzu häufig bei dieser WM, viel nationalistischen Mist hingegen schon. Ich hoffe, dass Argentinien dem ein Ende setzt und noch mehr hoffe ich auf ein gutes, faires und hochklassiges Endspiel, auch wenn die meisten Besoffenen auf Fanmeilen das sowieso nicht mitbekommen werden.

Christina Reinthal, Chefredakteurin

Ich werde im Zug sitzen, wenn das Finale läuft. Ich fahre zurück von einem Familienbesuch. Erst nachdem ich das Ticket zu einem Schleuderpreis gebucht hatte, fiel mir auf, dass genau zu dieser Zeit das Finale stattfinden wird. An der Reihenfolge dieser Ereignisse kann man erkennen, dass ich mich nicht so wahnsinnig für Fußball interessiere. Ich schaue gerne mit zu besonderen Anlässen, wie eben der WM, aber es endet eigentlich immer im Debakel. Da ich von Fußball einfach nicht so wahnsinnig viel verstehe, bleibt mir als Motivation fürs Schauen nichts anderes übrig als Patriotismus. Kombiniert mit der Tatsache, dass ich einfach nicht verlieren kann, ist das wirklich fatal. Seit Jahren erliege ich zudem einem schlimmen Aberglauben: Ich bin fest davon überzeugt, dass die deutsche Mannschaft verliert, wenn ich zugucke. Denn bisher hat es immer eine Weile gebraucht, bis ich mich von der Euphorie mitreißen ließ. Als ich dann endlich auch zum Public Viewing ging oder mich bei Freunden zu einer Fußballparty verabredete, flogen die Deutschen raus. Ich weiß nicht, ob es im Zug die Möglichkeit gibt, das Spiel zu sehen. Falls nicht, stehen die Chancen gut, dass wir Weltmeister werden.

Andreas Scholz, Redakteur

Normalerweise bin ich ja leicht zu begeistern. Für Schreiopern von Diamanda Galas zum Beispiel. Oder für einen Aktionskünstler wie Hermann Nitsch, der in seinen Performances reihenweise Geschlechtsteile mit blutigem Gedärm einseift. Aber etwas derart Abwegiges wie Fußball? Das ist mir so fremd und alienartig wie Lesben und Schwule in der CDU. Wie denen möchte man auch der Spielermeute zu rufen: „Konntet ihr wirklich nichts Sinnvolleres mit eurem Leben anstellen?“ Nehmt euch ein Beispiel an Hermann Nitsch! Oder ihr hättet auf dem Eis lernen können wie man Pirouetten dreht oder einen Vierfach-Toeloop springt. Eiskunstlaufen ist wenigstens richtiger Sport! Natürlich ließen sich jede Menge guter Argumente finden, um die WM moralisch ans Messer zu liefern. FIFA, Homophobie usw. Und dank der Erziehung durch meinen Fernseher und hunderter 3Sat-Dokus über Deutsche Geschichte ist mir jede Form von national geprägtem Jubeltaumel zutiefst suspekt. In Wahrheit finde ich Fußball aber einfach nur öde. Das ist wie Til Schweiger nackt in einem seiner Filme zu sehen. Da mag er noch so stolz seine Muckis herzeigen, es schläft einem trotzdem alles ein. Trikottausch, Fußballerbeine oder der Klaps auf den Po während des Spiels sollen ja angeblich so wahnsinnig homoerotisch sein. Mich schüttelt's! Wo ich am Sonntag sein werde? Keine Ahnung!

Kaey, Redakteurin

Meine Mutter hat früher im Fußballverein gespielt und war somit ein riesiger Fußballfan. Als ich ein Kind war, hat sie mich nachts mit hysterischem „Toooor!“-Geschrei aus dem Schlaf gerissen. Seitdem habe ich eine große Abneigung gegen Fußball entwickelt. Auch meine Versuche hinter die Faszination dieser Sportart zu steigen, sind leider erfolglos geblieben. Mein Herz schlug schon immer höher bei Synchronschwimmen, Travestie unter Wasser oder Turmspringen. Ich sag nur Jungs in Speedos, die sich verrenken! Dementsprechend werde ich am Sonntag nicht vor der Glotze oder im Biergarten sitzen. Entweder ich schlafe erschöpft ein, nachdem ich von einem Konzert aus dem Wendland zurückkomme. Oder ich kümmere mich um meine Libido und schaue auf den einschlägigen Webseiten nach passenden Speedo-Trägern.

Paula Balov, Praktikantin

Fußball gucken ist ne super Alibi-Tätigkeit: Ich sitze neben meiner Familie und halte die Illusion aufrecht, dass wir Zeit miteinander verbringen, dass die WM uns einander näher bringt, während meine Mutter und ich in Wahrheit tagträumen. Mein Vater ist so sehr im Spiel vertieft, dass er gar nicht merkt, dass sich der Rest der Familie in Parallelwelten aufhält. Seit ich nicht mehr bei Mama wohne, fällt dieses Familienritual weg. Das Gegröle und Getute und Feuerwerk-Gedonnere ist geblieben und schwer zu ignorieren, wenn man in einer Hauptstraße wohnt. Schwer zu ignorieren sind auch die Deutschlandfahnen. Scheinbar so etwas wie ein Wettbewerb in meiner Nachbarschaft. Jeden Morgen, wenn ich aus dem Fenster schaue, frage ich mich: Ist die jetzt wirklich größer als gestern? Vielleicht spiel ich mit und häng eine Regenbogenfahne raus, um wenigstens die hübscheste in der Straße zu haben.

Am Sonntag werde ich mich in ein Meer aus Niedlichkeit stürzen! Popcorn und Katzenvideos. Besser kann man dem Gegröle und Getute kaum entkommen als mit flauschigen Katzenbabys!

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