Bewegungsmelder

20. Juli 2014
Dirk Ludigs © Tanja Schnitzler

Die Kolumne von Dirk Ludigs

Seid ihr schon über den CSD 2014 hinweg? Auch vier Wochen danach herrscht überall diese Katerstimmung! Das Aktionsbündnis, offiziell aufgelöst, leckt seine Wunden. Noch immer schmerzt die Erinnerung an menschenleere Straßenschluchten, durch die tapfere Parteienvertreter sich hindurchgrinsen mussten, als seien sie in einer Dauerwerbesendung des Nachtprogramms von QVC gefangen.

Gespenstisch! Und der andere, der vormals eigentliche, der Party-CSD? Hintereinander weg gesponsert von Lufthansa, der Deutschen Bank, Daimler, Easy Jet und der BVG! Je näher der Suff- und Drogenfeldzug der Fanmeile kam, umso wahlloser wurde die sexuelle Orientierungslosigkeit!

Wahnsinn, aber wahr: Ein CSD ohne Parteien und Verbände ist nicht viel mehr als inhaltsleerer Müll. Und noch mehr Wahnsinn: Wenn Parteien und Verbände alleine CSD machen, fällt ihnen auch nur der gleiche inhaltsleere Müll ein, gegen den sie vorher gewettert haben.

Der Berliner CSD ist ein sich selbst reproduzierendes Phänomen, dem völlig schnuppe ist, wer es organisiert

Und so können wir beruhigt eine Lehre ziehen: Es geht für 2015 zuallererst nicht darum, das Gewesene aufzuarbeiten oder sich zusammenzuraufen oder gegen den angeblich selbstherrlichen Geschäftsführer eines Vereins zu putschen, sondern zu begreifen, dass der Berliner CSD stärker ist als seine Macher, stärker als die Community, die er repräsentiert. Der Berliner CSD ist ein sich selbst reproduzierendes Phänomen, dem völlig schnuppe ist, wer es organisiert. Zusammengerührt aus ein bisschen Love Parade, einem Schuss Altwestberliner Straßenkampf-Folklore und einem Hauch Erster Mai, brought to you by Berliner Pilsner.

Der CSD lebt seit vielen Jahren davon, dass alle ihr Süppchen auf ihm kochen, dass jeder glaubt, sein Erscheinen berge einen geldwerten Vorteil für die eigene Sache. Die Parteien fahren genau so mit dem Sattelschlepper vor, um Werbung für sich zu machen, wie der Dildo King. Die aufgetakelte Transe rechnet ihren CSD-Erfolg in Photo-Ops und Millisekunden in der Tagesschau und der zugedröhnte Lederschwule in Milliliter Sperma pro Tiergartenbusch. Den CSD wird es geben, solange er die Selbstdarstellungsbedürfnisse seiner Teilnehmer befriedigt, der Sekt reicht und die BSR anschließend zeitnah den inhaltsleeren Müll wegräumt.

Wir müssen nicht jedes Jahr an einem Samstag im Juni die LGBTI*-Welt retten

Schlimm ist das nicht. Aber es zu benennen ist ein Stück Ehrlichkeit. Es täte uns allen gut, den armen, alten CSD nicht weiter so hemmungslos zu überfrachten. Wir müssen nicht jedes Jahr an einem Samstag im Juni die LGBTI*-Welt retten. Wer politisch sein will, kann ja zum Dyke-Marsch gehen oder nach Kreuzberg, dort ist es ja alles schon per Definition politisch. Wer sich nur empören will, der findet sicher einen Anlass auf der Website von Enough-is-Enough. Schön fände ich persönlich, ganz ehrlich, eine politische Demo vorm Stadtfest.

Da spart man sich vor allem das teure Organisieren einer Abschlusskundgebung. Die besoffenen Agit-Prop-Tunten sind ja schon vor Ort und müssen nur noch auf die Bühne stolpern. Worum es inhaltlich gehen soll, darüber können wir uns ja jetzt noch elf Monate lang super streiten!

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