BÜHNE

Show mit Zwangsjacke: „Der helle Wahnsinn"

25. Juli 2014
Jack Woodhead (li.) und David Pereira (c) Robert.M

25.07. – Ein schwuler Entertainer, Herbert Maria Freiherr von Heymann (Jack Woodhead), landet wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Nervenheilanstalt. Aufgrund seiner Homosexualität, die ihn in Hitler-Deutschland bereits ins Konzentrationslager gebracht hatte. Absurd, aber solche Fälle hat es tatsächlich gegeben. Doch Heymann ist einer, den das Leben nicht schafft, sondern zu neuen Taten inspiriert. Schnell erkennt er das künstlerische Potenzial seiner Mitinsassen, statt Wahnsinn entdeckt er bei ihnen Genie, mobilisiert verborgenes Talent und lässt sie Gefühle in Bewegung umsetzen. So entwickelt sich nach und nach eine „irre“ Varietérevue. Make-ups sind zerlaufen, Frisuren sind zerzaust, Kostüme werden improvisiert aus Zwangsjacken, Verbandsmaterial und Miederhosen. Glamour? Der kommt hier von ganz innen. Etwa beim zauberhaften Auftritt der 69-jährigen Artistin Doris Marxheimer, die wie ein schwarzer Nachfalter von der Bühnendecke schwebt und von sich aus leuchtet.

Da wird Akrobatik mit feinster Theaterkunst verwoben

Natürlich gibt es Déjà-vus. Haben wir es mit Szenen aus „Cabaret“ zu tun, die im Bühnenbild von „Nachtasyl“ spielen? Steigt da nicht gerade die Schwester aus der TV-Serie „American Horror Story“ die Treppe hoch zu ihrem Aussichtsposten, um von dort die Insassen besser überwachen zu können? Das sind nur ein paar der Assoziationen, die möglich wären, aber schnell wieder vergessen sind. Denn hier entsteht im Lauf des Abends etwas ganz Eigenständiges, das nie langweilig wird, sondern mit immer neuen Bildern fesselt. Da wird Akrobatik mit feinster Theaterkunst verwoben, ein Bild geht ins andere über, keine lästige Umbaupause hemmt den Erzählfluss. Dies ist keine Nummernrevue mehr, sondern ein tolles Stück mit erstaunlich vielfältigen Charakteren und Talenten. Die Idee stammt von Varieté-Wunderkind Markus Pabst, die Songs sind von Jack Woodhead und David Pereira. Titel wie „The Man In the Moon Is A Lady“ und der Rainbow-Song „Berlin will always be free” zeigen, wo’s lang geht.

Eine große Leistung der Inszenierung ist es, dass die Figuren auf Augenhöhe agieren. Das fasst der Anstaltsleiter (Matthias Fischer) gleich zu Beginn unfreiwillig in die Worte: „Bei uns tickt alles richtig.“ Egal, ob die zarte Fußjongleurin Fuß zum Gruß (Nata Galkina) oder der athletische Karl, das Messer (wow: Florian Zumkehr), Hans die Woge (Rummelsnuff) oder die Schizophrene Somalso (genial: Sarah Bowden), jede Person ist gleich wichtig für das Gelingen des Gesamtbildes. Am Ende haben alle in der Selbstinszenierung die persönliche Freiheit gefunden. Auch das unfreiwillige Transmädchen Punka (David Pereira), die durch Heymann zu nie gekannter Leichtigkeit findet.

Das Plakat von „Der helle Wahnsinn“ wirbt mit den bekannten Gesichtern von Woodhead und Pereira, aber das wird der Sache nicht ganz gerecht. Die beiden Wintergarten-Protagonisten sind genial integriert in diese reife Ensemble-Leistung. Allen Mitwirkenden gebührt höchstes Lob. Hier fliegt nicht einer übers Kuckucksnest, sondern alle.

fh

Siegessäule präsentiert: „Der helle Wahnsinn“, Wintergarten, bis 05.10., Mi-Sa 20:00, So 18:00, wintergarten-berlin.de

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