FILM

Ein freies Kino

14. Aug. 2014
Peter Kern (c) Filmgalerie 451

Peter Kern im Sigessäule-Interview. Der Schauspieler und Regisseur ist ein Splitter im Gewebe der Filmindustrie, der in No-Budget-Filmen seinen Obsessionen freien Lauf lässt

14.08. – Gearbeitet hat Peter Kern mit Größen wie Rainer Werner Fassbinder, Christoph Schlingensief, Dirk Bogarde oder Helmut Berger. Anlässlich seines 65. Geburtstags findet im Arsenal eine Retrospektive statt, bei der auch sein neuer Film „Sarah und Sarah“ Premiere feiert. Ein Gespräch mit einem „Widerstandskämpfer“(Schlingensief) des Kinos

Herr Kern, die Presse hat Sie einen Skandalregisseur und Tabubrecher genannt. Können Sie mit diesem Etikett überhaupt etwas anfangen? Wenn Leute Etiketten brauchen, um etwas zu beschreiben, dann sollten sie in die Werbung gehen. Ich finde das dumm. Ich kann mit dem Wort Tabubruch überhaupt nichts anfangen. Was soll das sein? Es gibt für mich nie Regeln und eine Ordnung. Das ist doch der Feind der Kunst. Wenn sie Regeln wollen, dann müssen sie sich die Berliner Filme anschauen. Die gehen auf die Regeln ein, die die Filmförderung vorschreibt. Ich möchte ein freies Kino haben. Sobald es unfrei geworden ist, hat es nichts mehr mit mir zu tun. Film ist mein Ausdruck von Leben.
Was ist das Thema Ihres neuen Films „Sarah und Sarah“? In Österreich und Deutschland gibt es jede Menge Altnazis, die nie enttarnt wurden und sich völlig unschuldig fühlen. In dem Film geht es um eine alte Nazi-Schauspielerin, die ohne jedes politische Bewusstsein ist. Ihr geht es nur um Glamour. Das ist auch etwas Interessantes: Menschen, die das Leben ausschließen, um den Glamour zu leben. Wir leben umgeben von einer Schönheit, die man uns einredet, und überhaupt nicht mehr von Inhalten, von politischen revolutionären Gedanken. Wir sind eine Spaßgesellschaft. Das Cabaret hat endlich gewonnen und wir werden übermannt von Schwimmbädern und Schwulensaunen.
Sie entstammen einer Kinogeneration, die mit Charakteren wie Fassbinder als aufständisch und besonders experimentierfreudig galt. Denken Sie, dass das Kino damals risikofreudiger war? Es ist nicht die Schuld der Filmemacher, sondern es ist die Schuld der Menschen da draußen, die sich nicht mehr interessieren für unsere Sichtweise der Welt. Damals gab es die Möglichkeit, unsere Filme zu sehen. Die Verleihe waren mutiger als die Verleihe heute. Jetzt ist nur mehr die Quote gefragt. Da ist kein Gedanke mehr dahinter, sondern der neue Zwang, der uns würgt wie eine Schlange. Es müsste ein neues Manifest geben, jemand Jüngeren, der ihnen den neuen Film hinstellt, ihnen den neuen Film hinfurzt. Den Film der Zukunft!
Es gibt in Ihrem neuen Werk auch einen krebskranken Jungen, der sich Sarah nennt. Handelt es sich um eine queere Figur? Man könnte denken, dass der vielleicht schwul wird. Das ist nicht bewusst gesetzt. Aus Liebe zu seiner Mutter hat er ihren Namen angenommen. Es gibt das Thema Homosexualität bei mir nicht mehr. Mich interessiert kein ghettoisiertes Kino, das nur an einer sexuellen Richtung orientiert ist. Das hat mit dem wirklichen Leben auch nichts zu tun.
Sind Sie an der schwulen Szene noch interessiert? Ich gehe in kein schwules Lokal, auch wenn ich permanent sehnsüchtig bin nach Liebe, nach Umarmungen, nach Küssen, nach erotischen Berührungen. Aber ich habe das aufgegeben. Die Leute sind so arrogant gegen jede andere Form des Aussehens. Es ist alles klimatisiert, es ist alles modisch strukturiert. Und nur das allein fickt sich. Also eine blaue Jeans kann keine grüne Jeans ficken.
Haben Sie sich wegen Ihres Übergewichts dort diskriminiert gefühlt? Immer. Eigentlich ist die Szene ein schlimmeres Ghetto als das heterosexuelle Leben. Community war für mich früher die Kommune. Da lebten ein Philosoph, ein Arzt, ein Filmemacher, ein Dichter usw. Es gab einen Austausch von Weltbildern. Da konnte man sich konfrontieren, da konnte man sich anschreien aus Lust und Liebe. Und denken ohne Beschränkung.

Interview: Andreas Scholz

„Schauplatz Körper – Tribute to Peter Kern“, 15.-18.08., Arsenal, in Anwesenheit von Peter Kern

„Sarah und Sarah“, 15.08., 19:00

„Domenica“, 16.08., 20:00

„Crazy Boys“, 17.08., 20:00

„Der Sternsteinhof“, 18.08., 20:00

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