FILM

Katz und Maus

17. Aug. 2014
Regisseur und Hauptdarsteller Xavier Dolan als Tom in „Sag nicht, wer du bist“ (c) Kool Filmdistribution

Das Wunderkind wird erwachsen: Xavier Dolan liefert mit „Sag nicht, wer du bist“ einen verstörenden, spannenden Psychothriller

Zugegeben, es wäre langsam an der Zeit, dass die Presse auf das Etikett „Wunderkind“ verzichtet, aus diesem Alter ist der Frankokanadier Xavier Dolan mit seinen 26 Jahren mittlerweile herausgewachsen. Man kommt allerdings nicht umhin, dem Regisseur von Filmen wie „Laurence Anyways“ und „Herzensbrecher“ weiterhin höchsten Respekt zu zollen angesichts des Tempos, in dem er Jahr für Jahr mit stets im besten Sinne queeren Meisterstücken zu überraschen vermag. Mit Filmen, in denen so viele Ideen stecken, wie sie manche Kollegen in ihrem ganzen Œuvre nicht aufzubieten haben.

In Cannes wurde er gerade für „Mommy“ mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, bei uns kommt nun das Werk des Vorjahres in die Kinos. „Tom à la ferme“ lautet der schlichte Originaltitel, und in der Eingangssequenz sieht man Tom – Xavier Dolan himself mit retromäßig blondierten Spitzen – auf der Fahrt zur titelgebenden Farm. Mögen die mit ausgedehnten Kamerafahrten eingefangenen Panoramabilder der Agrarwirtschaftsödnis auch eine noch so karge Schönheit verströmen: freiwillig leben möchte man in dieser Tristesse der kanadischen Provinz wohl nicht, zumal als schwuler Mann.

Tom ist auf diesen abgelegenen Bauernhof auch nur gefahren, um bei der Beerdigung seines verunglückten Lebensgefährten dabei zu sein. Was er nicht ahnt: die trauernde Mutter (Lisa Roy) wusste weder von Toms Existenz noch von der Homosexualität ihres Sohnes. Ganz anders dessen Bruder Francis. Und der macht Tom gleich ziemlich unmissverständlich klar, dass dies auch ein Geheimnis bleiben soll.

Noch bevor Francis (Pierre-Yves Cardinal) überhaupt ins Bild tritt, lässt uns Dolan an der Reaktion Toms schon dessen körperliche Präsenz erspüren. Dann erst gibt die Kamera den Blick frei auf diesen vor Kraft und erotischer Ausstrahlung nur so strotzenden Kerl. Was nun folgt, ist ein kammerspielartiger Psychothriller, bei dem Dolan diesmal ganz auf seine gewohnten formalen Spielereien wie ungewöhnliche Kameraperspektiven, Slow-Motion-Effekte und grelle Ausstattung verzichtet. Stattdessen bedient er sich mal dezenter, mal überdeutlicher Referenzen an die Klassiker des Suspense; selbst Gabriel Yareds Soundtrack lässt wie einst Bernard Herrmann in den großen Hitchcock-Thrillern wild die Geigen flirren.

Was da eigentlich genau zwischen diesen beiden Männern passiert, lässt Dolan bis zuletzt in der Schwebe. Auch die Sprünge im Verhalten Toms sind nicht immer schlüssig nachvollziehbar. Warum, überlegt man noch, lässt sich Tom die miese Behandlung durch Francis eigentlich gefallen und haut nicht einfach ab? Aber da hat er sich schon zum Stallgehilfen abkommandieren und gleich darauf zum Koksen und einem intimen Tangotanz in der Scheune zwingen lassen.

Verstörend, spannend und perfide ist dieses zwischen erotischer Spannung, S/M-Psychospielen und Stockholm-Syndrom changierende Duell allemal, und zwar bis zur letzten Minute.


Axel Schock

Siegessäule präsentiert: „Sag nicht, wer du bist“, 18.08., 22:00, MonGay, Kino International. Ab 21.08. im Kino

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.