Pride

Regenbogenfahnen im Lavafeld

13. Aug. 2014

Am 9. August wurde in Island der Reykjavik Pride gefeiert. Gelegenheit zu einem spannenden Blick auf die urigen Pride-Rituale im Hohen Norden

– Eingerahmt von zerklüfteten Lavafeldern, brodelnden Schwefelquellen und dem Atlantik liegt Islands Hauptstadt Reykjavik. Das Letzte, was man in dieser archaisch-bizarren Landschaft erwartet, ist ein bunter, feucht-fröhlicher Pride, der auch nur ansatzweise klassischen Mustern folgt. Doch die Stadt begrüßt einen ganz traditionell – mit einem Meer aus Regenbogenfahnen, das allerdings üppiger als anderswo ausfällt. So gut wie jede Schaufensterpuppe ist mit kleinen Fähnchen dekoriert, während viele Angestellte in Geschäften und Banken irgendein Utensil tragen, das auf den Pride hinweist. Vor dem Rathaus stehen die Flaggen straff im kalten Wind. 

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Eine Transe stöckelt schulterfrei und zitternd daran vorbei. Über entblößte Ärsche muss sich bei dieser Parade wohl niemand aufregen. Selbst bei voller Sonne im August ist eine warme Winterjacke durchaus empfehlenswert. Wer nackte Haut zeigt, fängt sich im Höchstfall bewundernde Blicke für so viel Widerstandsfähigkeit ein. Nacktheit bedeutet hier eher Wagemut als Exhibitionismus.

In der Stadt herrscht Volksfeststimmung. Der Reykjavik Pride oder auch „Hinsegin dagar“ ist schließlich das größte Outdoor-Event Islands und fast ein Drittel der gerade einmal rund 300.000 umfassenden Gesamtbevölkerung pilgert an diesem Tag an die Straßen der Frikirkjevegur und der Laekjargata, auf der sich der Zug Richtung Hafen bewegt. Überall spielen mit Regenbogenfarben bemalte Kinder und man muss aufpassen, nicht von Familienvätern mit Kinderwägen überrollt zu werden. Die haben sich übrigens auch fast sämtlichst mit Regenbogenfarben geschmückt. Es ist schon beeindruckend und ungewöhnlich, wie sehr sich isländische Heteros nicht nur solidarisieren, sondern die Symbole der Homo-Welt auch annehmen und sich zu eigen machen. Der mitteleuropäische Gaydar stößt jedenfalls bald an seine Grenzen. Wer hier Hetero, Homo, wer Teil eines klassischen Familienmodells ist oder zu einer Regenbogenfamilie gehört, ist in der Masse kaum noch auszumachen.

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Immerhin ermöglicht es der Pride, dass man endlich mal deutlich erkennbare Isländer zu Gesicht bekommt. Denn was immer man sich im stillen Kämmerlein zu Björks Musik so über Island zurecht imaginiert hat, Reykjavik löst das kaum ein. Zumindest im Sommer ist das lediglich eine hübsche kleine Touri-Stadt mit ein paar architektonischen Highlights, in der vor allem deutsch und französisch zu hören sind und in der man an jeder Straßenecke Nippes angedreht bekommt wie hässliche Papageientaucher aus Plüsch. Zum Pride, so scheint es, erobern sich die Isländer ihre Stadt für einen Tag lang zurück.

Eröffnet wird die Parade ebenfalls ganz traditionell von einer kleinen Gruppe von Dykes on Bikes. Leider ebenso klassisch, wenn auch für deutsche CSDs eher ungewöhnlich, sind die Absperrungen an den Straßenrändern. Es gilt also in den sauren Apfel zu beißen, dass die Parade nur zum Anschauen da ist und man erst am Ende des Zuges mitlaufen kann. War der Auftakt noch vertraut, wird es im folgenden wesentlich eigenwilliger bzw. ziemlich zünftig.

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Statt jeder Menge Wagen mit pumpenden Beats ziehen mehrere Blasmusikkappellen an einem vorbei. Dahinter laufen ein paar Teenies, die sich ihre Gesichter in einem Stil-Mix aus Kiss und norwegischen Black-Metal-Bands geschminkt haben. So langsam wird’s dann doch skurril. Zumal die Transparente nur spärliche Infos bieten und selbst Sprachkundige mit der Einordnung so manches mal Probleme haben dürften. Verschiedene lokale Vereine treten auf, die bestimmte Stadt- oder Landesteile symbolisieren, auch eine Gruppe Intersexueller ist dabei. Ein Wagen ist nur mit Kindern besetzt, die stolz ihre Regenbogenfahnen schwenken. Kinder aus Regenbogenfamilien? Der örtliche Pfadfinder-Verein? Von den dazugehörigen Eltern jedenfalls weit und breit keine Spur. Am Ende des Zuges fährt ein Truck, der zu einem riesigen Schwan umgestaltet wurde und von dem der isländische ESC-Teilnehmer Páll Óskar unter tosendem Jubel eine schlagerpoppige Version von „I am what I am“ in der Landessprache zum besten gibt. Auf eine sehr sympathisch-schrullige Weise wirkt das alles unglaublich provinziell und urig. Dass an einer Kirche schließlich der Pastor heraustritt und die Parade segnet, hat da kaum mehr Irritationspotenzial. Irgendwie passt das Event auf eine sehr verqueere Art selbst zur eigenwilligen Landschaft. 

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Da in Island Homosexualität so sehr in der Gesellschaft angekommen ist, verwundert es kaum, dass politische Forderungen eher rar gesät sind. Auch auf der kurzen Abschlussveranstaltung dominieren die Auftritte von Bands und die Moderatorin animiert zu Laola-Wellen. In Sachen rechtlicher Gleichstellung gehört die Insel mittlerweile zu den progressivsten Ländern der Welt. Dass Island von 2009 bis 2013 als erstes Land überhaupt von einer lesbischen Premierministerin regiert wurde, fand dort in der öffentlichen Diskussion kaum Widerhall, auch die Homo-Ehe wurde 2010 problemlos durchgewunken. Das volle Adoptionsrecht existierte zu diesem Zeitpunkt bereits. Zwischen von Moos bewachsenen, giftig-grün schimmernden Lavafeldern ist man gleichstellungspolitisch um so vieles weiter als wir. Vielleicht sollte man Merkel & Co auch mal zu den dampfenden Schlammtöpfen und heißen Quellen in den Hohen Norden schicken. Da heilt vielleicht auch der flaue Magen. Man kann sich hübsche Theorien stricken, warum gerade Island so fortschrittlich ist. 

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Möglicherweise ist in einem Land, das wie das Set-Piece eines Alien-Films aussieht und in dem über die Hälfte der Bevölkerung die Existenz von Elfen für möglich hält, die Angst vor dem Fremden kein gar so dringliches Thema. Die Wahrheit sieht wohl aber eher so aus, dass seit den 70er Jahren LGBTI-Aktivisten hervorragende Aufklärungsarbeit geleistet haben. Vor einem halben Jahrhundert blieb auch isländischen Homos und Trans*Menschen nur die Flucht in die Anonymität der großen ausländischen Metropolen. Zudem dürfte dem flüchtigen Blick des Touristen auf dieses Event der sicherlich existierende doppelte Boden verborgen bleiben. Und irgendein selten gesehener Film wird wahrscheinlich von dem Leid isländischer LGBTIs und der Schwierigkeit eines Coming-outs erzählen. Tatsache ist allerdings, dass man selbst an der so lebensfeindlich scheinenden Westküste der Halbinsel Reykjanes, wo sich die Lava weitgehend über ein ödes Flachland gewälzt hat, in einem kleinen und ziemlich tristen Fischerdorf von einer riesigen Regenbogenfahne begrüßt wird.

Andreas Scholz

reykjavikpride.com

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