Interview: Monika Herrmann

Radikaler werden

31. Aug. 2014
© Marcus Witte

Seit einem Jahr ist Monika Herrmann (Bündnis 90/Grüne) Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg – ein Interview zu dem, was bisher geschah

In ihre Amtszeit fallen die Räumungen des Flüchtlingscamps am Oranienplatz im April und der Gerhart-Hauptmann-Schule im Juli, als die Polizei einen ganzen Kiez neun Tage lang abriegelte. Siegessäule-Autor Malte Göbel hat Frau Herrmann dazu befragt

Frau Herrmann, verlieren Sie die nächste Wahl?
Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Es gab viel Kritik an den Grünen angesichts der Ereignisse um die Gerhart-Hauptmann-Schule.
Das kann ich nachvollziehen. Kritik gab es, weil die Polizei den Kiez neun Tage lang abgeriegelt hat – warum, entzieht sich meinem Verständnis.

Moment mal. Sie haben doch die Polizei angefordert! Richtig, denn bei den Umzügen vom Oranienplatz haben wir die Erfahrung gemacht, dass Leute, die die Zelte abgebaut haben, massiv bedroht, angespuckt, angegriffen und beschimpft wurden. Also haben wir gesagt: Wenn jetzt der Umzug aus der Schule stattfindet, brauchen wir die Unterstützung der Polizei. Außerdem sollte eine Neubesetzung der Schule verhindert werden.

Sie haben also gesagt: „Polizei, wir brauchen euch, riegelt das mal ab!
Wir haben gar nicht gesagt „abriegeln“, sondern wir haben gesagt, wir brauchen euch, damit die Leute, die ausziehen wollen, auch ausziehen können. Alles andere entzog sich unserer Zuständigkeit. Dass man dafür neun Tage einen Kiez abriegeln muss, ist insofern irritierend, als die Polizei es am zehnten Tag geschafft hat, mit 50 Beamten und freiem Kiez sehr wohl die Örtlichkeit zu sichern. Man muss sich schon fragen: Warum? Die Antworten habe ich noch nicht bekommen. Die Diskussionen im Abgeordnetenhaus und im Innenausschuss sind noch nicht zu Ende, das geht nach der Sommerpause weiter. Auch dass da allen Ernstes mitten in Kreuzberg Polizisten mit Maschinengewehren stehen! Das ist schon arg unsensibel! Wenn die Polizeikollegen aus Thüringen dermaßen Angst haben, in Kreuzberg im Einsatz zu sein, dass sie sich Maschinengewehre mitnehmen ...

Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr Bezirksbürgermeisterin. Spielt es in ihrer täglichen Arbeit eine Rolle, dass Sie lesbisch sind? 
Nur bei den Briefen. Wenn man mich eh schon beschimpft, dann beschimpft man mich deswegen auch noch. Aber zu einer Minderheit zu gehören prägt auch ein Bewusstsein, was Diskriminierung, Rassismus, Sexismus betrifft.

Waren Sie dieses Jahr auf einem CSD? Ich war dieses Jahr gar nicht in Berlin, früher war ich immer in Kreuzberg. Es wäre ja schön, wenn wir mal wieder einen politischen CSD hätten. Wir haben uns einlullen lassen, halten uns für akzeptiert, aber die Realität sieht anders aus. Herr Sarrazin oder der Oberlehrer in Baden-Württemberg, der den Bildungsplan dort zu Fall gebracht hat – das sind keine Durchgeknallten, das ist das Bürgertum. Das dürfen wir nicht unterschätzen, und da können wir nicht Tralala-CSDs machen und lustig durch die Straßen tanzen. Eigentlich müssten wir radikaler und radikaler und radikaler werden.

Interview: Malte Göbel

Das Interview in voller Länge gibt es in der aktuellen Ausgabe der Siegessäule. Auch online hier nachzulesen

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