Ronald M. Schernikau

Times are changing

6. Sept. 2014
© D.O.N.

Neugierige Köpfe auf Hellersdorfer Balkonen, als am strahlenden Vormittag eine Schar von Jüngern vor der schmuck sanierten Platte Cecilienstraße 241 erscheint. Sekt wird gereicht, ein Saxophon dudelt. Der Vertreter von Stadt und Land guckt scheu aus seinem Anzug. Die Wohnungsgesellschaft hat die Gedenk-Tafel zu Ehren von Ronald M. Schernikau an ihrem Haus bezahlt und montiert. Hellersdorfs Kulturstadträtin Juliane Witt erinnert in ihrer frei gehaltenen Rede an die unbequeme Tatsache, dass Kunst sich nicht anbiedern darf. Klaus Lederer von der Linken erzählt sehr persönlich, wie ihm Freunde Anfang der 90er Schernikaus Essay „Die Tage in L.“ schenken, ein wichtiges Buch in der Zeit des Umbruchs und weit darüber hinaus.

Times are changing. Als der junge Westberliner Schernikau in Hellersdorf einzog, hieß die Straße noch nach Albert Norden, einem verstorbenen Politbüromitglied, das es sogar auf eine 10-Pfennig-Briefmarke geschafft hatte. Der Rote musste weg, heute ist die Straße nach einer Prinzessin benannt. Ob es Schernikau gefallen hätte? Nie im Leben. „Die Dummheit der Kommunisten halte ich für kein Argument gegen den Kommunismus“, diktierte er der Nachwelt ins Poesiealbum. Als kleiner Junge von seiner Mutter im Kofferraum eines Diplomatenautos von Magdeburg in den Westen gebracht, wuchs er auf in dem Traum von einem Schriftsteller-Leben in der DDR. Den erfüllte er sich noch mit seiner Übersiedlung im Herbst 89. Kurz vor ihrem Ende bekam er seinen kleinen blauen Personalausweis und die Staatsbürgerschaft der DDR. Er hielt sie für die bessere Gesellschaft, selbst wenn sie nicht die Reife besaß, seine Texte zu drucken.

Wie ging es ihm im Neubau am Stadtrand? Wir fragen seinen Lebensgefährten Thomas Keck: „Abgesehen von dem Thema Krankheit, dass ja schon ein großes war in seinem Leben, war er unglaublich froh, so eine helle große Wohnung zum Arbeiten zu haben.“ Keck überlegt und fügt hinzu: „Andererseits war hier noch nicht alles fertig, und die jungen Familien, die hier so eingezogen waren mit den vielen kleinen Kindern, die waren vielleicht nicht ganz die richtige Umgebung.“

Ein Tuch wird von der Tafel gezogen. Applaus. Das Saxophon. Für Schernikau untrennbar: „Schreiben Schwulsein Kommunistsein ...“ Die Tafel erwähnt nur das Erste, immerhin. Der linken Bewegung der Neuzeit fehlen Ikonen vom Format Rosa Luxemburgs. Der Griff nach einer Lichtgestalt wie Schernikau ist verständlich. Was hätte der schöne Rebell dazu gesagt? Wir wissen es nicht.

Michael Sollorz

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