Film

Hollywood Babylon: „Maps to the Stars“

9. Sept. 2014

David Cronenberg ist zurück mit „Maps to the Stars“, einer bissigen Horrorsatire über die dunklen Abgründe der Filmindustrie

– Eines muss man einfach vorwegschicken: „Maps to the Stars“, diese bitterböse Abrechnung mit der Traumfabrik und dem Moloch Hollywood, ist David Cronenbergs aufregendster Film seit mindestens 15 Jahren. Zu lange haben Fans des kanadischen Filmautors darauf gewartet, dass der geradezu seriellen Produktion an soliden Nebenwerken endlich etwas Substanzielleres folgt. „Maps to the Stars“ ist ein unvorhersehbarer, ungezähmter Film und eine wahre Säuregrube – ätzend bis aufs Mark. Es sind vorrangig zwei Erzählstränge, die hier vor dem Hintergrund der Stadt L. A. miteinander kollidieren: Da ist die neurotische Familie eines landesweit bekannten Psychiaters (John Cusack), die zunehmend dem Wahnsinn verfällt. Auslöser ist die mit Panik aufgenommene Rückkehr der frisch aus der Nervenklinik entlassenen Tochter Agatha (Mia Wasikowska), die vor Jahren das Haus anzündete und ihren kleinen Bruder mit Tabletten vergiftete. Der ist wiederum zum Teeniestar und Kotzbrocken mit Drogenproblemen mutiert. Bevor Agatha jedoch vor der heimischen Tür auftaucht, kommt sie als Assistentin bei der egomanen Filmdiva Havana Segrand (Julianne Moore) unter, die gequält wird von Visionen ihrer toten Filmstar-Mutter und dem Ausbleiben guter Rollenangebote. 

Fortschreitender körperlicher wie geistiger Verfall, Identitätskrisen, halluzinierte Ersatzwirklichkeiten – Cronenberg greift wieder einige seiner Lieblingsthemen auf. Derart viel Camp-Appeal gab es bei ihm allerdings selten. Julianne Moore genießt ihre rabenschwarze Joan-Crawford-Rolle sichtlich, bleibt aber trotz der Over-the-Top-Performance aus Fleisch und Blut. Geradezu gespenstisch, wenn sie in freudige Hysterie ausbricht, als durch den Tod des kleinen Sohnes einer rivalisierenden Schauspielerin sie die ersehnte Rolle zugesprochen bekommt. Selbst wenn Cronenbergs neuer Film seinem Publikum oft ein diabolisches Vergnügen bereitet, sein Blick auf die Geschehnisse und überspitzten Neurosen ist viel zu klinisch und analytisch-sezierend, um den Horror zu mildern. An den spröden Hyperrealismus der Bilder muss man sich aber erst einmal gewöhnen, gerade bei einem Regisseur, dessen Filme meist visuell herausragend waren.

Das Cronenberg-typische Interesse an sexuellen Abweichungen – Frauen mit Phalli in „Rabid“ (1976) oder Menschen, die aus der Partizipation an Autounfällen sexuelle Lust gewinnen in „Crash“ (1996) – versandet diesmal relativ unspektakulär. Es gibt ein inzestuöses Familiengeheimnis und in einer kurzen Szene sehen wir, wie sich die Frau, mit der sich Julianne Moore gerade im Bett vergnügt, in deren Mutter verwandelt. Doch das Motiv bleibt folgenlos. So ganz erreicht er noch nicht die Klasse seiner Meisterwerke wie „Videodrome“ (1982), „Die Fliege“ (1986) oder „Crash“, zumal die abgründigen Mechanismen der Traumfabrik in anderen herausragenden Filmen bereits erschöpfend behandelt wurden. Doch es fügt der Nachtseite Hollywoods ein weiteres Kapitel hinzu, das man keineswegs mehr missen möchte.

Andreas Scholz

„Maps to the Stars“, ab 11.09. im Kino

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