Ausstellung

Rebel Rebel: Pier Paolo Pasolini

12. Sept. 2014
© Angelo Novi / Cineteca di Bologna

Die große Werkschau zu Pier Paolo Pasolini ist seit gestern im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Dokumentiert werden Arbeit und Leben eines der kontroversesten schwulen Künstler der Neuzeit

– Im Martin-Gropius-Bau geben sich die großen queeren Rebellen die Klinke in die Hand: Während die Bowie-Ausstellung gerade endete und weiter nach Chicago zieht, folgt nun die Werkschau zu Pier Paolo Pasolini. Als Künstler war er nicht minder prägend und kaum weniger schizophren und vielgestaltig. Er war Filmemacher, Dichter, Maler, Journalist, religiöser Marxist, Revolutionär und zugleich ein Verfechter traditioneller Werte, zudem einer der bedeutendsten Kapitalismuskritiker des 20. Jahrhunderts. Da Pasolini aber nun mal eher zur Hoch- als zur Popkultur gezählt wird, dürfte die von Bowies Multimediashow gesetzte Marke von 150.000 Besuchern wohl nicht ganz erreicht werden. Die Frage ist, ob die Ausstellung „Pasolini Roma“ ein ähnliches Interesse verdient hat.

Wie der Titel verrät, kreist sie um die Beziehung Pasolinis zu der italienischen Metropole, in der er 25 Jahre lang bis zu seiner Ermordung im Jahr 1975 lebte und arbeitete. Am Anfang werden die Besucher durch einen dunklen Raum geschleust, der sich per Video-Beamer in ein Zugabteil verwandelt. Statt einer Landschaft ziehen Bilder aus Pasolinis Jugend am Fenster vorbei. Halten wird der Zug in Rom, wohin Pasolini 1950 aus dem Friaul geflüchtet war. Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen hatte dazu geführt, dass er seine Anstellung als Lehrer verlor und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde. Doch trotz des Wechsels von der Provinz in die Großstadt gelang die Flucht nicht: Auch sein Leben in Rom war von Prozessen bestimmt, kaum ein Jahr, in dem er nicht im Gerichtssaal saß – wegen Verunglimpfung der Staatsreligion, wegen Obszönität, wegen Verbreitung filmischer Pornografie. Eine große Tafel listet sämtliche Verfahren auf, begleitet von Gerichtsfotos. Immer wieder wird dabei ein sexuell „verdächtiges Verhalten“ thematisiert. Pasolini verheimlichte seine Homosexualität nicht, sprach offen darüber. Einer seiner in der Ausstellung zitierten Briefe verrät, dass ihm Homosexualität zur Gewohnheit wurde – gemeint ist damit vor allem anonymer Sex in den römischen Vorstädten –, aber auch, dass er dadurch gezwungen war, seine eigenen Moralvorstellungen infragezustellen und zu überwinden. 

Wer sich Pasolini über die Ausstellung erschließen will, muss vor allem Zeit mitbringen, nicht nur um die vielen Ausschnitte aus seinen Filmen oder Interviewsequenzen zu sehen, sondern vor allem um zu lesen: Briefe, Gedichte, Zeitungsberichte, Drehbuchseiten … Zwei seiner Texte hat man dabei besonders herausgestellt, die  wie Nachrufe in Gedichtform geschrieben sind: über Marilyn Monroe und Papst Pius XII – die Heilige und der Sünder. Beide werden nebeneinander, übergroß auf einer Wand präsentiert. Die eine Schrift ist die poetische Annäherung an eine geliebte Außenseiterin, mit der sich Pasolini verbunden fühlte, die andere die Anklage an einen Schurken. Es wirkt geradezu klassisch schwul, wie die gebrochene Diva hier den Platz der Heiligen einnimmt. Auch in seinem filmischen Werk waren die großen Diven stets präsent: Maria Callas, Silvana Mangano, Alida Valli – oder Terence Stamp.

Es gibt eine Menge Material zu entdecken – weitgehend übersichtlich nach chronologischen Gesichtspunkten und Schaffensphasen geordnet. Zudem wurde der Ausstellung jede Menge Platz eingeräumt, sodass sich die Exponate in den riesigen weißen Räumen des Martin Gropius Bau fast verlieren. Das manchmal überwältigende Chaos der Bowie-Ausstellung findet man hier jedenfalls nicht. Damit vermag sie allerdings auch nicht das Grelle, Rebellische und Skandalöse dieses Künstlers zu fassen. Das alles hätte ruhig etwas weniger gediegen, weniger aufgeräumt und dichter aneinandergedrängt präsentiert werden können, dafür aber mit ein paar mehr auffälligen Schauwerten – wie zum Beispiel der Fiat 1100, mit dem Pasolini seine Reise quer durch Italien unternahm, um Interviews mit der Bevölkerung zu führen. Auf die Windschutzscheibe projiziert sind Szenen aus seiner Doku „Gastmahl der Liebe“, in der er die Italiener nach ihrem Verhältnis zu Sexualität und Homosexualität befragte. Dennoch ist es eine sehenswerte Ausstellung, die zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Künstler und seiner Zeit einlädt, auch wenn der große Ketzer und Rebell Pasolini darin nur bedingt erfahrbar wird.

Andreas Scholz

„Pasolini Roma“, 11.09.–05.01., Martin-Gropius-Bau, infos unter berlinerfestspiele.de

Begleitet wird die Ausstellung von einer Retrospektive im
Arsenal, das vom 13.09. bis zum 17.10. alle seine Filme zeigt, Termine im Programmkalender

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.