MUSIK

Gesamtkunstwerk im Gretchen: Konzert von Genesis P-Orridge

19. Sept. 2014
Die Königin: Genesis P-Orridge (c) Marie Losier Bernard Yenelouis

Pandrogynie und Sixties-Psychedelia mit Psychic TV live

Wenn ein Musiker das Recht hat, für sich den Begriff Gesamtkunstwerk zu reklamieren, dann ist es Genesis P-Orridge. Seit mehr als 40 Jahren perfektioniert P-Orridge die Kunst des kreativen Grenzüberschreitens. Andere mögen damit finanziell erfolgreicher sein, das Wasser reichen kann ihm/ihr letztlich kaum jemand.

Seit den späten 60ern aktiv in der englischen Gegenkultur, wurde Genesis mit seiner Band Throbbing Gristle so berühmt wie berüchtigt. Von (gestellten?) Kastrationsvideos über Autoabgase, die ins Publikum gepumpt wurden, von Selbstverstümmelung auf der Bühne bis zu diffusen Nazi- und Holocaust-Bezügen – es gibt nichts, was Throbbing Gristle nicht durchexerziert hätten. Damit stand P-Orridge an der Spitze der wachsenden Industrial-Bewegung der 70er und 80er, und während anderen die Grenzüberschreitung meist vorrangig zur Aufmerksamkeitsmehrung diente, war P-Orridges Motivation von Anfang an ideologisch, politisch. Dem schwedischen Autor Carl Abrahamsson sagte P-Orridge einmal, er/sie befinde sich im „totalen Krieg gegen Kultur und Gesellschaft“, und daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben.

Nach dem Ende von Throbbing Gristle rief Genesis 1982 die Band Psychic TV ins Leben, mitsamt dazugehöriger Fanvereinigung oder Sekte (je nach Blickwinkel), genannt Thee Temple ov Psychick Youth. Musikalisch entwickelten sich Psychic TV von experimentellen Klangcollagen über Ausflüge in Acid-House-Gefilde schließlich zu einer rundum-modernisierten Form der Sixties-Psychedelia, schräge Good-Vibrations-Coverversion inklusive. Überhaupt scheint die  Throbbing-Gristle-Morbidität zunehmend einer generellen Erwärmung zu weichen, heute ist bei Psychic-TV-Konzerten eher mit Aufrufen zur universellen Liebe als zur Mutilation zu rechnen

Stattdessen startete P-Orridge in den 90ern zusammen mit der (mittlerweile verstorbenen) Partnerin Lady Jaye (Breyer) einen ganz anderen Prozess der kreativen Körperlichkeit: Zusammen verfolgten sie die Utopie der vollkommenen Verschmelzung zweier Individuen, auch Mithilfe von zahlreichen chirurgischen Eingriffen, die sie zu zwei identischen, gender-neutralen Wesen machen sollten - was ihnen in erstaunlichem Maße gelungen ist (davon kann man sich in ihrem Deklarationsvideo „The Cut up“ überzeugen, zu sehen auf youtube). Das „Pandrogynie“-Projekt führt Genesis bis heute fort.

Am 20. September geben Psychic TV im Gretchen ihr einziges Deutschlandkonzert – eine der seltenen Gelegenheiten, dieser Ikone der Subversivität die verdiente Reverenz zu erweisen!

Karsten Zang

Psychic TV, Gretchen, 20.09., 20:00

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