BEWEGUNGSMELDER

Ode an Martin und Rosa

20. Sept. 2014
(c) Tanja Schnitzler

Die Kolumne von Dirk Ludigs

20.09. – Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Sie sind politisch passiv und verhalten sich konservativ als Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden.* Sie gründen Gruppen in Parteien, von deren Mitgliedern sie verachtet werden und halten ihre Täterloyalität für gesellschaftlichen Fortschritt wie Onkel Tom. Sie unterschreiben sechshundertneunzig Mal auf ihrem eigenen Stadtfest für Rechtspopulisten und verschaffen ihnen damit ein Drittel der notwendigen Unterschriften zur Teilnahme an der Bundestagswahl, weil sie hoffen, dass keiner mehr merkt, dass sie Arschficker sind, wenn sie sich bloß genau so nationalistisch und frauenfeindlich geben wie der rechte Mob. Schwule werden zum Mob, wenn Schwarze einen Straßennamen diskriminierend finden, so wie Schwule es tun. Dann gießen sie in sozialen Medien Kübel an rassistischem Dreck aus, denn sie haben gelernt, dass es immer noch eine ärgere Sau geben muss auf die man schlagen kann, sonst schlägt man am Ende doch wieder sie selber tot.

Schwule schämen sich ihrer Veranlagung, denn man hat ihnen in jahrhundertelanger christlicher Erziehung eingeprägt, was für Säue sie sind. Deshalb flüchten sie weit weg von dieser grausamen Realität in die romantische Welt des Kitsches und der Ideale. Ihre Träume sind Illustriertenträume, Träume von einem Menschen, an dessen Seite sie aus den Widrigkeiten des Alltags entlassen werden in eine Welt, die nur aus Liebe und Romantik besteht. Schwulen ist nicht die Ehe wichtig, sondern die Hochzeit und sie geben sich mit weniger Rechten zufrieden, solange sie ihr Leben als Operette inszenieren dürfen. Schwule hoffen inständig, dass das kitschige Ritual sie von der promisken Sau in den monogamen Menschen verwandelt, der sie so gerne wären, denn insgeheim verachten sie sich für ihre Lust wie eh und je. Sie interessieren sich nicht für die Rechte von Frauen, Transgender und Intersexuellen, weil sie nicht erinnert werden wollen, dass auch sie etwas Unüberwindliches vom Spießer trennt. Sie schweigen aus Dummheit und Angst, wenn mit neuen Gesetzen wieder eine sexuelle Orientierung kriminalisiert wird, weil sie jetzt schon wissen, dass es die pädosexuelle Keule ist, mit der man sie einst erschlagen wird.

Die Mehrzahl der Homosexuellen gleicht dem Typ des unauffälligen Sohnes aus gutem Hause, der den größten Wert darauf legt, männlich zu erscheinen. Sein größter Feind ist die auffällige Tunte. Tunten sind nicht so verlogen, wie der spießige Schwule. Tunten übertreiben ihre schwulen Eigenschaften und machen sich über sie lustig. Sie stellen damit die Normen unserer Gesellschaft in Frage und zeigen, was es bedeutet, schwul zu sein. Spießige Schwule faseln über Anpassung und über Indianer, die untergehen mussten, weil sie Federschmuck trugen und keine Anzüge. Als hätten die Orgeln in den Reformsynagogen und die Tapferkeitsorden aus dem Ersten Weltkrieg den Juden das Schicksal ihrer Vernichtung erspart. Sie schämen sich für die Nacktheit, die Federboas und die Lederchaps auf ihren eigenen Demonstrationen, weil sie fürchten, vom Spießer nicht ernst genommen zu werden – als würde der Spießer sie je für voll nehmen.

Nicht die Homosexuellen sind pervers, sondern die Situation, die sie sich selbst geschaffen haben.

Dirk Ludigs


*Die kursiv gedruckten Zitate stammen von Martin Dannecker aus dem Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“

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