KULTUR

„Wanna Play?” – Performance im Glascontainer

5. Okt. 2014
© Marijn Smulder

Ab heute wohnt der Künstler Dries Verhoeven in einem Glascontainer auf dem Heinrichplatz in Kreuzberg. Nur über Dating-Apps ist er mit der Außenwelt verbunden

Update! Das umstrittene Performance-Projekt des Niederländers Dries Verhoeven ist am Sonntag vorzeitig beendet worden, nachdem es sowohl in den sozialen Medien als auch von politischer Seite zu erheblichen Protesten gekommen war. Kritisiert wurde vor allem, dass die über die Dating-App Grindr geführten Chats auf eine LED-Leinwand projeziiert wurden, ohne das die Teilnehmer davon wussten. Am Sonntagabend stellte sich der Künstler in einer Podiumsdiskussion der Kritik. Ein Nachbericht folgt demnächst.

Im Rahmen der HAU-Reihe „Treffpunkte“ wird Dries Verhoeven vom 1. bis 15. Oktober in einem gläsernen LKW-Trailer auf dem Heinrichplatz leben und über die üblichen Dating-Portale Männer zu sich einladen. Auf eine Partie Schach, einen Pfannkuchen oder einen guten Film. Wir sprachen mit dem Künstler über seine Aktion.

Stunden- und tagelang auf Onlineportalen unterwegs zu sein, ist allein sicher noch kein ungewöhnliches Vorhaben. Was macht deine Aktion so anders? Es ist ein soziales Experiment. Bei meinen Chat-Erfahrungen habe ich gelernt, dass man dort ein Bild von sich entwirft, von dem man glaubt, dass der andere davon sexuell angesprochen ist. So trifft dort letztlich nur eine Werbung auf die andere. Kommt es dann zum Date, ist man nur damit beschäftigt, das vorher kreierte Bild zu bestätigen. Andere soziale Seiten der Persönlichkeit werden ausgeblendet. Verletzlichkeit etwa wird zum neuen Tabu. Ich lade zwei Wochen nun Männer von allen üblichen Plattformen zu mir in den Container. Aber eben zu einem Date, bei dem es ausdrücklich nicht um Sex geht. Also zum Beispiel um gemeinsames Schach spielen, DVD schauen oder Pfannkuchen backen.

Durch privates Internet-Dating wird Homosexualität im öffentlichen Leben unsichtbar. Hat das Internet ein neues „Closet“ geschaffen? Das ist eine der Fragen, die ich mit meiner Aktion erkunden möchte. Im Internet entsteht zumindest ein Platz für Geheimnisse. Heute kann man zehn Jahre lang unerkannt schwul online unterwegs sein. Als ich vor 20 Jahren mein Coming.out hatte, bedeutete ein Besuch von „Szene-Lokalitäten“ eben auch: Ich zeige mich, ich fühle mich erkannt und bin Teil einer Community. In Amsterdam, wo ich herkomme, sind viele dieser Treffpunkte heute verschwunden. Warum? Weil sich die Leute hauptsächlich im Internet treffen.

Dass dir jeder auf dem Kreuzberger Heinrichplatz zwei Wochen lang beim Schlafen, Essen, Duschen und vor allen Dingen beim Chatten zusehen kann, hat also mit Exhibitionismus nichts zu tun? Der Container ist die Darstellung des neuen Closets: ein Schaufenster, in dem wir nur noch ein Bild von uns ausstellen. Gleichzeitig steht er mitten im öffentlichen Raum. Nicht in Schöneberg, sondern in Kreuzberg, wo neben Schwulen und Lesben auch zum Beispiel viele Türken, Punks und künstlerisch Interessierte leben. Die können nun alle sehen, wie schwules Daten im Netz heute funktioniert. Und das am Heinrichplatz, der ganz stark auch ein analoger Treffpunkt ist, wo sich Leute im realen Leben auf der Straße und in Cafés begegnen.

Glaubst du, dass Männer auf Grindr, Gayromeo und co a) bereit sind, sich auf ein nicht-sexuelles Treffen einzulassen und b) das in aller Öffentlichkeit? Wenn jemand meine Einladung in den Container annimmt, ziehe ich die Vorhänge zu. Die Passanten erkennen nur Silhouetten und wissen dann lediglich, dass ich jetzt tatsächlich ein Date gefunden habe. Und es lohnt sich wirklich zu kommen: Es gibt umsonst Pfannkuchen oder einen guten Film. Vielleicht wird es ja ein Hit. Ansonsten bleibt es eben ein interessantes Experiment.

Wie kann man dich während der zwei Wochen kontaktieren? Auf fast allen Portalen benutze ich meinen Klarnamen: „Dries“ —schließlich benutze ich auf der Straße ja auch keinen „Nickname“. Hier kann mich jeder, der auch auf den Portalen unterwegs ist, anschreiben. Außerdem kann man auf wannaplayberlin.de die Aktion ständig live mitverfolgen.

Carsten Bauhaus

„Wanna Play?“, 1. bis 15. Oktober, Heinrichplatz

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