Berlin

HAU bricht die umstrittene Kunstaktion „Wanna Play?" ab

6. Okt. 2014
© Sascha Weidner

– Nach einer hitzigen Podiumsdiskussion am Sonntagabend im Berliner HAU-Theater wurde das Kunstprojekt „Wanna Play? – Liebe in Zeiten von Grindr“ des niederländischen Künstlers Dries Verhoeven mit sofortiger Wirkung eingestellt. Geplant war, dass die Aktion am Heinrichplatz in Kreuzberg noch bis zum 15.10.  weiterlaufen sollte. Damit fand der Eklat, der die Berliner Community im Zusammenhang mit diesem Projekt das gesamte Wochenende in Aufruhr versetzte, ein ebenso jähes wie unbefriedigendes Ende.

Was war geschehen? Verhoevens Projekt startete am 01.10. und sollte die Frage öffentlich zur Diskussion stellen, wie Liebe in den Zeiten Sozialer Medien bzw. Dating-Portalen funktioniert und ob ein öffentlicher Raum, in dem Homosexualität sichtbar werden kann, zunehmend in der (angenommenen) Privatheit beziehungsweise Anonymität des Internets verschwindet. Die Umsetzung des Konzepts war schlicht: Über die Dating-App Grindr trat Verhoeven mit Schwulen in Kontakt und lud sie nach einem Chat zu sich in einen gläsernen Container an den Heinrichplatz ein, der ihm während der Dauer des Kunstprojekts als transparentes Zuhause diente. Um Sex sollte es dabei nicht gehen, vielmehr verbrachte Verhoeven mit seinen „Gästen“ Zeit, spielte mit ihnen Schach, plauderte, kochte. Die anbahnenden Gesprächsverläufe wurden mit leicht verfremdeten Profilfotos der teilweise nichts ahnenden Chatpartner an eine Wand im Container projiziert, sodass Passanten und Rezipienten sie lesen und sehen konnten.

Kurz nach dem Beginn der Aktion brach im Internet ein Sturm der Entrüstung los, nachdem ein Chatpartner des Künstlers ohne jedes Wissen darüber, dass es sich hier um ein Kunstprojekt handelte, zum Heinrichplatz gefahren war, um Verhoeven zu daten. Erst dort bemerkte er, dass er zum Teil einer öffentlichen Performance geworden war. In seiner Privatsphäre verletzt, griff er den Künstler körperlich an, es kam zum Eklat. Offensichtlich hatten sich die Initiatoren vom HAU im Vorfeld zu wenig Gedanken über Datenschutz gemacht und ebenso wenig über ihre Verantwortung, die Intimsphäre der teilweise unfreiwilligen Teilnehmer zu schützen – die Profilfotos waren nach Ansicht einiger nicht ausreichend verfremdet, der erklärende Text auf dem Grindr-Profil des Künstlers nicht eindeutig genug. Hastig wurde daraufhin von den Verantwortlichen nachkorrigiert, Bilder zusätzlich verzerrt und der Profiltext Verhoevens verdeutlicht. Doch zu spät, in der Community formierte sich bereits massiver Protest. Spontandemos, E-Mails an die KuratorInnen des HAU und Angriffe auf den Glascontainer waren die Folge.

Aufgrund der andauernden Proteste unterbrach der Künstler seine Aktion am Sonntagabend, um sich bei einer Podiumsdiskussion im HAU2 der öffentlichen Debatte zu stellen, zu der sich schließlich mehrere hundert Berliner und Berlinerinnen einfanden. Die Diskussion, an der neben Verhoeven noch Martin Dannecker und Annemie Vanackere von der Geschäftsführung des HAUs teilnahmen, ließ sich aufgrund der erhitzten Gemüter allerdings nur schwerlich moderieren. Dries Verhoeven entschuldigte sich zu Beginn für sein Vorgehen, unter anderem auch konkret bei jenem User, der sich als Opfer der Aktion fühlte und tätlich geworden war. Aus Naivität habe er bei diesem Projekt Fehler gemacht. Und natürlich sei es nicht seine Intention gewesen, irgendjemanden bloßzustellen. Mehr gab es da eigentlich auch nicht zu sagen. Im folgenden erklärte er noch ein wenig die Konzeption seines Projekts, verstummte aber sonst. Der Fall lag ja klar auf der Hand: Er hätte hier als Künstler mehr Verantwortung zeigen müssen gegenüber jenen, die unfreiwillig Teil dieses Projekts wurden und sich öffentlich bloßgestellt fühlten. Dieser Vorwurf wurde mal sachlicher, mal weniger sachlich an diesem Abend wiederholt. Darüber hinaus wurde die Qualität des Kunstwerks angezweifelt: Das Konzept wäre zu altbacken gewesen, zu pessimistisch die These, dass sich mit Tools wie Grindr Homosexualität in eine Art digitales Gefängnis zurückziehe. Sicherlich berechtigte Kritik, allerdings geriet die Form relativ schnell zu einer Art „Live-Shitstorm“ und hatte nichts mehr von einer Podiumsdiskussion, trug vielmehr eher die Züge eines Tribunals. Schade, hätte die Kunstaktion doch vielleicht nach einem produktiveren Diskurs in einer anderen, respektvolleren Form weitergeführt werden können.

So endete die Veranstaltung schließlich irgendwann damit, dass sich das anwesende Publikum fast komplett erhob und den Saal verließ und die Aktion „Wanna Play?“ eingestellt wurde. Auch, wenn die Argumente der Verhoeven-Gegner nachvollziehbar waren, bleibt so doch ein fader Nachgeschmack.

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