Berlin

Wowis Nachfolger: der Bürgermeister-Check

14. Okt. 2014

Drei Politiker buhlen um die Gunst der SPD-Mitglieder: Mit Michael Müller, Raed Saleh und Jan Stöß stehen allerdings Kandidaten zur Wahl, die sich inhaltlich kaum unterscheiden bzw. kaum in der Lage waren, Akzente zu setzen – am ehesten noch Müller als Senator für Stadtentwicklung, nicht aber Saleh als Fraktionsvorsitzender und Stöß als Parteichef. Alle zählen zum engeren SPD-Führungszirkel und haben sich seit Jahren in Personalscharmützeln auf den Machtkampf um Wowereits Nachfolge vorbereitet.

Man ist versucht, die Kandidaten auf Äußerlichkeiten und Schlagworte zu reduzieren: Müller war jahrelang Wowis Kronprinz, Saleh steht für die Integration von Migranten, Stöß ist sehr groß und schwul. Das wird natürlich keinem von den dreien gerecht. Doch haben sie gleich viel drauf, was Queer-Politik betrifft? Die Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen der SPD „Schwusos“ hat ein Hearing mit den drei Kandidaten veranstaltet und sie zusätzlich schriftlich zu Queer-Themen wie u. a. Initiative Sexuelle Vielfalt (ISV), Unisex-Toiletten und Rehabilitierung der Opfer des Paragraph 175 befragt. Eine Wahlempfehlung geben die Schwusos aber ausdrücklich nicht ab.

Michael Müller – Wowereit-Intimus

Müller steht am ehesten für ein „Weiter so!“ zu Klaus Wowereit. Jahrelang galt er als dessen Kronprinz, war zwischen 2004 und 2012 Landesvorsitzender der SPD, bis er von Jan Stöß abgelöst wurde. Seit 2011 ist er Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, kennt sich also aus mit einem der drängendsten Problemen der Stadt, also Wohnungsbau. Großes Projekt war hier der Ausbau des Tempelhofer Feldes, der von den Berlinern und Berlinerinnen in einer Abstimmung abgelehnt wurde. Man sagt, Müller habe daraus gelernt und würde bei allen zukünftigen Projekten stark auf Bürgerbeteiligung achten. Müller gilt zudem als sehr zugänglich, ein Mann, der gut reden und die Leute ansprechen kann.

Queer-Check: Mit dem queeren Berlin hat Müller nicht viele Berührungspunkte, seine Statements auf die Fragen der Schwusos klingen distanzierter und gestelzter als bei Saleh und Stöß. Er hat sich allerdings aktiv bemüht, mehr Berührungspunkte zu schaffen, indem er die Schwulenberatung in Charlottenburg besuchte. „Angebote und Projekte zur Beratung und Betreuung queerer Lebenswesen müssen weiterhin finanziell abgesichert sein“, schreibt er an die Schwusos, die Initiative Sexuelle Vielfalt sei „ein wichtiger Baustein“, für die „ein angemessener finanzieller Rahmen (…) auch zukünftig gewährleistet“ sein müsse. Müllers Statements zu Unisex-Toiletten klingen distanziert, aber um Verständnis bemüht: Aktuell würden „Menschen meist in Männer und Frauen unterteilt“, sinniert er, für alle anderen sei es „sicherlich auch ein sehr emotional anstrengender Prozess, zu merken, man passt nicht in das gesellschaftliche Bild“. Man dürfe aber das „Schamgefühl der Menschen nicht außer Acht lassen“, müsse sich weiter mit dem Thema auseinandersetzen.

Jan Stöß – Queer-Politik als Heimspiel

Stöß geht als Unsympath ins Rennen: Vor zwei Jahren putschte er Michael Müller vom Landesvorsitz weg, ohne dass er inhaltlich rüberbringen konnte, wieso das notwendig war. Auch zuletzt musste er intern Fäden spinnen, um sich einer möglichen Entthronung durch Raed Saleh zu widersetzen. Stöß ist schlau, Jurist und sehr groß – wirkt also schon ohne eigenes Zutun schon von oben herab. Das ist natürlich unfair, Kollegen des Verwaltungsrichters halten große Stücke auf den geborenen Hildesheimer, beschreiben ihn als besonnen und vermittelnd: Überdurchschnittlich oft endeten seine Gerichtsverfahren mit einem Vergleich, also einem Kompromiss der Kontrahenten. Zudem brachte er Ruhe in die chronisch zerstrittene SPD Friedrichshain-Kreuzberg, seit er 2008 dort Vorsitzender wurde. Gleichzeitig ist Jan Stöß von den drei Kandidaten derjenige, der am lautesten von einem Neuanfang spricht und sich von Klaus Wowereit abgrenzt. Für den Fall eines Wahlsiegs stellte er bereits ein Programm für die ersten 100 Tage im Amt des Regierenden Bürgermeisters vor. Dessen Wirksamkeit wird jedoch vom bestehenden Koalitionsvertrag eingeengt. Stöß promovierte übrigens zum Thema „Großprojekte der Stadtentwicklung in der Krise“ – so könnte man auch das Berlin der letzten Jahre beschreiben..

Queer-Check: Die Homo-Politik ist für Jan Stöß ein Heimspiel, er ist seit 18 Jahren mit seinem Freund zusammen, den er beim Jura-Studium in einer Lerngruppe traf. Ein kumpeliger Knuddelbär wie Wowi wird er wohl nie werden, dafür bezeichnet er Berlin elegant als „Sehnsuchtsort der Freiheit“, will die Homo- und Transphobie in Schulen angehen und mit dem Regenbogenfamilienzentrum in Schöneberg Homo-Paare mit Kinderwunsch stärken. Wie Müller nennt er die ISV einen „wichtigen Baustein“, will dort mehr Akzente bei der Bildung setzen. Unisex-Toiletten seien „vergleichsweise einfache Maßnahmen“ und „ein gutes Signal“.

Raed Saleh – starke Biographie

Raed Saleh ist der jüngste der drei Kandidaten (Jahrgang 1977) und sicherlich derjenige mit der interessantesten Biographie: Geboren in Samaria im palästinensischen Westjordanland, dann aufgewachsen als Flüchtlingskind in Spandau. Er biss sich durch, jobbte neben der Schule in Fastfood-Läden und stieg nach einem abgebrochenen Medizinstudium in die Betriebsführung ein, wurde danach erfolgreicher Unternehmer. Seit 2006 sitzt er für die SPD im Abgeordnetenhaus, wurde 2011 zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Für viele seiner Anhänger verkörpert er Berlin, wie es Klaus Wowereit vor ihm tat, dank Aufsteiger-Biographie und Migrationshintergrund. Immerhin wäre er (nach David McAllister in Niedersachsen) Deutschlands zweiter Landes-Regierungschef mit Migrationshintergrund. „Dieses Profil könnte sich keine Werbeagentur besser ausdenken“, lobte die Süddeutsche Zeitung. Was inhaltlich hinter dieser Fassade steckt, ist aber noch unklarer als bei den anderen beiden Kandidaten.

Queer-Check: Wie Michael Müller ist Raed Saleh einer, der sich die Berührungspunkte mit der Queer-Community erst mal schaffen musste. Angeblich ließ er sich nach seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden vom Parteifreund Tom Schreiber die Homo-Szene am Nollendorfplatz zeigen, um besser zu verstehen, was die Leute dort bewegt. Als Bürgermeister würde er „für eine starke Willkommenskultur für alle Menschen einstehen“, schreibt er staatstragend, dann schwammig, Berlin müsse „Motor der Gleichberechtigung, der Rehabilitation und Entschädigung“ bleiben. Mit der Initiative Sexuelle Vielfalt ist er vertraut, sieht sie als „das Projekt der SPD-Fraktion für das queere Berlin“, auch für die Aids-Hilfe habe er schon gekämpft und Lottomittel klargemacht. Unisex-Toiletten begrüßt er „sehr“ und möchte diese sukzessive in den öffentlichen Gebäuden einführen.

Wer wird es?

Am 17. Oktober endet um Mitternacht das Mitglieder-Votum der Berliner SPD, Auszählung ist am 18. Oktober. Falls es keine absolute Mehrheit für einen der drei Kandidaten gibt, geht die beiden Bestplatzierten in die Stichwahl. Am 11. Dezember wird der Sieger das Amt von Klaus Wowereit übernehmen.

Malte Göbel

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