MENSCHENRECHTE

Jamaika: Erst prügelt Mob, dann der Cop

21. Okt. 2014

„Selbst zuhause ist man nicht sicher“ – die Überschrift klingt so bedrohlich wie der Werbespruch für einen neuen Kinothriller. Leider ist die Bedrohung real, zumindest für Schwule und Lesben in Jamaika. Am 21. Oktober veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) unter dem Titel „Not Safe At Home“ einen Bericht über die ernste Situation von sexuellen Minderheiten in dem Karibikstaat. 56 Übergriffe sind darin dokumentiert, neben Beleidigungen auch schwere Verbrechen wie Vergewaltigung, Steinigung und Totschlag.

„LGBT-Menschen in Jamaika müssen mit einem unerträglichen Gewaltniveau fertig werden und können sich nicht auf die Polizei verlassen“, kritisiert Graeme Reid, Sprecher für LGBT-Rechte bei Human Rights Watch. „Die Behörden, von der Premierministerin abwärts, müssen der Gewalt und der Diskriminierung Einhalt gebieten, jeden Verantwortlichen vor Gericht bringen und endlich die homophoben Gesetze streichen.“

Auf Jamaika gelten noch immer Sodomie-Verbote aus der britischen Kolonialzeit, die auch Analsex unter Männern unter Strafe stellen. Dazu kommt eine ausgeprägte Macho-Kultur, die den tuntigen „Battyman“ (etwa: Popo-Mann) als Feindbild hat. Auch gewaltverherrlichende Texte einzelner Reggae-Künstler ernten seit Jahren Kritik (Siegessäule berichtete). Ein wichtiger Faktor für die aggressive Stimmung dürfte auch die wirtschaftliche Not der Menschen sein. Fast 40 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos.

Erst einmal muss der Schutz sexueller Minderheiten verbessert werden, fordert Human Rights Watch. Das ohnehin große Misstrauen gegen die jamaikanische Polizei sei unter Schwulen, Lesben und Trans* immens. Insgesamt 56 Übergriffe hat Human Rights Watch zwischen April und Juni 2013 aufgenommen, nur 19 davon kamen zur Anzeige. Die Betroffenen haben gute Gründe: So erwähnt der Bericht einen Mann, der von etwa 30 Menschen mit Messern, Macheten und Stöcken angegriffen worden sein soll. Erst nach 20 Minuten sei die Polizei eingeschritten – und verprügelte den Verletzten im Anschluss im Polizeilaster.

„Solange die diskriminierenden Gesetze in Kraft sind, bleiben alle Gegenmaßnahmen Stückwerk“

Bereits vor zehn Jahren hatte Human Rights Watch einen deprimierenden Jamaika-Bericht veröffentlicht. „Im vergangenen Jahrzehnt hat die jamaikanische Polizei einiges unternommen, um das Übel der homophoben Gewalt anzugehen“, sagt Graeme Reid. So hätten die Behörden Leitlinien vorgelegt, um Diskriminierung und Hassverbrechen anzugehen. „Aber offensichtlich reichen diese Schritte noch nicht aus“, sagt Reid. „Solange die diskriminierenden Gesetze in Kraft sind, bleiben alle Gegenmaßnahmen Stückwerk.“

Eine Abschaffung der Sodomie-Gesetze aber ist derzeit völlig utopisch. Premierministerin Portia Simpson Miller hatte zwar 2011 im Wahlkampf eine Überprüfung versprochen. Doch ihr Volk ist dagegen. Laut einer Umfrage von September wollen 91 Prozent das umstrittene Gesetz beibehalten. Und 68 Prozent der Befragten sagen explizit, Schwule sollten nicht die gleichen Rechte haben wie alle Jamaikaner.

Philip Eicker

Zum Video von Human Rights Watch

Der Bericht „Not Safe at Home: Violence and Discrimination Against LGBT People in Jamaica“ ist auf Englisch hier verfügbar unter

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