Film

Polit- und Disco-Tunten: „Pride"

26. Okt. 2014

Im Stil der britischen Komödien der 90er erzählt „Pride“ von einem Stück Homo-Bewegung aus der Thatcher-Ära. Polit-Utopie und Discofeeling inklusive. Am 27.10. bei MonGay und ab 30.10. im Kino

Wenn es in einer Gesellschaft bröckelt und kriselt, geht der Trend zum eigenen kleinen Schneckenhaus, zu Abgrenzung und Ausgrenzung. Anderen die Hand zu reichen verliert an Selbstverständlichkeit. „Pride“ spielt in Zeiten der Krise, im Großbritannien der 80er-Jahre. Das konservative Schreckgespenst heißt Margaret Thatcher. Die „Eiserne Lady" betreibt Wirtschaftspolitik ohne Rücksicht auf soziale Verluste: Jobs verschwinden, Betriebe werden privatisiert, Gewerkschaften wie Feinde behandelt. Auch vielen Minen droht die Schließung. Die Arbeiter streiken, doch Finanzen und Kräfte gehen langsam zur Neige. Da kommt plötzlich Unterstützung von unerwarteter Seite. Von denen, die wissen, wie es ist, von Regierung und Boulevardpresse diffamiert, von der Polizei verprügelt zu werden: Schwulen und Lesben, die in der reaktionären britischen Gesellschaft an den Rand gedrängt werden.


In London gründet sich um den charismatischen Mark Ashton eine Gruppe mit dem Namen LGSM: Lesbians and Gays support the Miners. In Plastikeimern sammeln sie für die Streikenden. Als es jedoch darum geht, die Spenden zu verteilen, gibt es Schwierigkeiten. Denn kein Bergbaudorf will etwas mit den „Perversen" zu tun haben und die Hilfe annehmen. Kein Dorf? ... Doch, eines. Und so reisen die Großstadt-Queers in die walisische Provinz.


Ein Herz für Lesben


Eine Polit-Tunte an der Seite eines Bergbau-Kumpels – kann das gut gehen? Die Gegensätze, die in dem historischen Stoff angelegt sind, breitet Regisseur Matthew Warchus in seinem zweiten Spielfilm mit großer Lust aus. Da treffen eingefleischte Biertrinker auf Veganerinnen, die tanzfaulen Dorfmännlichkeiten sehen sich mit flottem Disco-Hüftschwung konfrontiert, ältere Damen entdecken ihr Herz für Lesben und die unterschätzte Hausfrau entwickelt aktivistische Power. Auch die brennenden Fragen werden geklärt: „Sind wirklich alle Lesben Vegetarierinnen?" Dabei bleibt der Humor charmant und verliert den ernsthaften Hintergrund nie aus den Augen. Denn die LGSM hat es wirklich gegeben. Die meisten Charaktere des Films haben reale Vorbilder, deren gemeinsame Geschichte nach drei Jahrzehnten endlich die Öffentlichkeit erhält, die sie verdient. Spätestens wenn originale Dokumentaraufnahmen in der Spielhandlung auftauchen, und es nun an den Grubenarbeitern ist, Solidarität gegenüber den „Perversen" zu zeigen, geht „Pride“ schwer ans Herz.


Selten wurde ein Plädoyer für gesellschaftlichen Zusammenhalt so emotional, aber gleichzeitig so beschwingt geführt. Nicht nur die Kleidung, die Gelfrisuren, der Konservativismus sind unverwechselbar 80er. „Pride" schwelgt derart im Retro-Style, dass es eine Freude ist. In einigen Momenten wird der Film glatt zum Musical. Etwa wenn Schwulenaktivist Jonathan eine bis dahin verschnarchte Veranstaltung im Gemeindezentrum zum Hit „Shame“ von Shirley & Company aufmischt und die Disco-Funken auf die Dorfgemeinschaft langsam überspringen. Matthew Warchus schafft es, Themen wie Coming-out und Aids mitzuerzählen, ohne die Story zu überfrachten. So lernt der 20-jährige Joe, mit dessen Augen wir die Ereignisse verfolgen, erst durch die LGSM, selbstbewusst schwul zu sein. Bei den internationalen Filmfestspielen von Cannes 2014 gewann „Pride“ den Queer Palm Award. Ein schöner Film nicht nur für Krisenzeiten.

kittyhawk

„Pride“, UK 2014, R.: Matthew Warchus, mit Ben Schnetzer, Bill Nighy, Imelda Staunton, ab 30.10. im Kino

Siegessäule präsentiert: „Pride“, 27.10., 22:00, MonGay,
Kino International

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