BÜHNE

Temperament und Herz

8. Nov. 2014
(c) Arno Declair

Es ist eine temperamentvolle und zu Herzen gehende Ronald-M.-Schernikau-Collage, die am Freitagabend ihre Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters feierte. „Die Schönheit von Ost-Berlin“ verwebt die Lebens- und Werkstationen des kommunistischen, schwulen Dichters in weitestgehend chronologischer Folge, wobei der 1991 an den Folgen von Aids verstorbene gleich von vier Doppelgängern gespielt wird – drei Männer und konsequenterweise auch eine Frau, die alle schwarze Kleidung, Hornbrille, Oberlippenbart und schulterlanges Haar tragen. Sie turnen und schwelgen und debattieren auf und um eine inselartige Drehbühne, errichtet unter anderem aus Jugendzimmermöbeln, dem Heck eines Audi 100 (bekanntermaßen floh Schernikau 1966 im Kofferraum eines Autos aus der DDR), einem orangen BSR-Eimer, einer Verkehrsampel und natürlich einem Schreibtisch. Hier werden die klugen, entwaffnenden Sentenzen des schillernden Schernikau, dessen literarisches Werk ja gerne ein bisschen überschätzt wird, zum Besten gegeben. Etwas abseits sitzt Mutter Ellen Schernikau, prägnant verkörpert von Margit Bendokat. Unaufgeregt und mild spricht sie die lebensklugen Sätze, mit denen der Sohn sie im „Irene Binz“-Monolog verewigt hat. Dass die echte Ellen Schernikau während des langen Applauses aus dem Publikum springt, auf die Bühne läuft und jedem Mitwirkenden einen Kuss auf die Wange drückt, gibt dem knapp zweistündigen Stück seinen verdienten Segen.

Michael Thiele

deutschestheater.de

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