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Toleranztest im Fernsehen

14. Nov. 2014
(c) DTh_BR_Bildarchiv_AG

Die ARD hat sich mit ihrer Marketing-Kampagne zur „Themenwoche Toleranz“ einen veritablen Shitstorm eingefangen. Dabei sind einige der zahlreichen Sendungen durchaus sehenswert

– Die Wut hätte eigentlich absehbar sein können: Auf Plakaten und im Internet bewirbt die ARD ihre „Themenwoche Toleranz“ vom 15. bis 22. November mit Sprüchen, die wie eine Zeitreise in die 50er Jahre wirken. „Normal oder nicht normal?“ fragt die ARD und zeigt das Bild eines sich auf die Stirn küssenden Männerpaares. „Belastung oder Bereicherung?“ steht in weißer Schrift über einem Mann dunkler Hautfarbe – gerade so, als sei es Sache der Mehrheitsgesellschaft über die Rechte einzelner den Daumen zu heben oder zu senken.

Nicht nur in den sozialen Medien machen viele ihrer Wut Luft. Auch eine Koalition aus Vertreterinnen und Vertretern der angegriffenen Minderheiten, darunter für Schwule und Lesben Volker Beck (Grüne), protestierte mit einem offenen Brief dagegen, dass die Sender Minderheiten und deren „Existenz in Frage stellen“. Für die ARD entgegnete der verantwortliche Programm-Koordinator Hans-Martin Schmidt, die Kampagne habe offenbar „einen Nev getroffen“, sie wolle lediglich zur „Diskussion anregen“.

http://www.br.de/presse/inhalt/pressemitteilungen/hans-martin-schmidt-themenwoche-toleranz-100.html

Diese Argumentation verfängt jedoch nicht ohne weiteres. So wirbt der Hessische Rundfunk etwa zu einer Sendung unter dem Titel „Der Tanz um die Toleranz“ (15.11., 16:30) mit der Frage „Was  müssen wir uns gefallen lassen – was nicht?“ Als Beispiel für „Provokationen“, an denen diese Frage diskutiert werden soll, dienen ein sich küssende schwules Paar in der U-Bahn und eine moslemische Frau, die in der Kantine nachfragt, ob im Essen Schweinefleisch enthalt ist. Die Perspektive ist also klar: Die Mehrheitsgesellschaft („wir“) fragt sich, bis wohin ihre Toleranz gegenüber Minderheiten reichen müsse. Dass Minderheiten Rechte haben, in diesem Fall das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit und die Religionsfreiheit, und die Frage somit solange obsolet ist, wie nicht das Grundgesetz angezweifelt werden soll, erschließt sich den Verantwortlichen offenbar nicht. Dazu passend kommen in der Sendung auch weder Schwule noch Moslems zu Wort. Stattdessen diskutiert Ellen Ueberschär, die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, mit Matthias Matussek, der sich selbst als gläubigen Katholiken und zugleich als „homophob“ bezeichnet, und zuletzt vor allem mit weitgehend inhaltsfreien Pöbeleien gegenüber dem Journalisten Stefan Niggemeier aufgefallen ist.

http://www.hr-online.de/website/fernsehen/sendungen/index.jsp?rubrik=54283&key=standard_document_53265623

http://www.theeuropean.de/matthias-matussek/8049-matthias-matussek-antwortet-stefan-niggemeier

Auch wenn die Themenwoche deshalb vor allem für Zuschauerinnen und Zuschauer zur Toleranzprobe zu werden scheint: Das umfangreiche Programm beinhaltet durchaus einige sehenswerte Sendungen. So ist etwa am Samstag (15.11.) um 22:00 im Bayrischen Fernsehen der Spielfilm „Same Same but Different“ zu sehen, der SWR zeigt am Montag (17.11.) um 20:15 den Film „Feier Fall“ und am Freitag (21.11.) läuft auf Einsfestival um 20:15 der französische Film „Tomboy“. Möglicherweise bieten auch die Talkrunden, z.B. von Anne Will (19.11., 21:45), eine Abwechslung zu Hate-Speech à la Matussek.

Tobias Sauer

Hier geht's zum Programm

Mehr Infos: themenwoche.ard.de

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