Bewegungsmelder

Ich weiß, wo ich steh!

1. Dez. 2014
Dirk Ludigs (c) Tanja Schnitzler

Dirk Ludigs kriegt einen Brief aus der Provinz und muss erklären, warum die ganze Streiterei in Berlins LGBT-Welt kein Zickenkrieg ist, sondern eine Zeitenwende

Lieber J.,

du fragst mich also, was schon wieder los sei, hier oben in Berlin, die ganzen Streithammel und Profilneurotiker, das verstehe doch niemand mehr bei euch. Schon letztes Jahr, der sinnlose Krampf um den CSD und nun bricht ausgerechnet die Aids-Hilfe, die hoch angesehene, den nächsten Streit vom Zaun? Warum wir uns nicht endlich zusammenreißen mit unseren Befindlichkeiten, willst du wissen und uns gemeinsam den eigentlichen Gegnern widmen? Nun gut, hier ist meine Antwort und ich muss ein wenig ausholen, in die Geschichte.

Denn was meiner bescheidenen Meinung nach zurzeit geschieht, ist kein Zickenkrieg, es ist eine Zeitenwende. Was endet? Die Mär von einer LSBTI*-Community. Was kehrt zurück? Der Konflikt zwischen jenen Schwulen, die vom Makel der Homosexualität befreit, endlich ohne Scham an den Fleischtöpfen des Patriarchats Platz nehmen und jenen, die es zusammen mit all den anderen benachteiligten Gruppen abschaffen wollen. Der Konflikt ist alt, sehr alt. Er ist sozusagen der Normalzustand. Nur ein Grüner konnte diesen Graben für eine Weile zuschütten.

In den Zwanzigern hießen die Gegenspieler Hirschfeld und Radszuweit. Der eine, ein Jude, Gründer des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees (WhK) und Vertreter einer Theorie der sexuellen Zwischenstufen, der andere ein Verleger schwuler Bücher, der Hirschfelds Gender-Theorien (der Begriff ist natürlich von heute) strikt ablehnte und mit antisemitischen Äußerungen versuchte, sich an die erstarkende NSDAP anzubiedern. Gegen den Paragrafen 175 kämpften sie beide, aber da hörte die Freundschaft auch schon auf.

In den Siebzigern waren es die biederen Herren der Internationalen Homophilen Weltorganisation (IHWO), die sich, nach Jahren ihres ebenso lautlosen wie erfolglosen Einsatzes für die Rechte der „Homophilen“, entsetzt von diesen linken Studierenden zeigten, von der wilden und lauten Radikalität der neuen Schwulen- und bald auch Lesbenbewegung.

Zu den Forderungen dieser frühen Bewegung gehörte vieles, aber eines nicht: die Ehe. Die kam erst Anfang der Neunziger. Erst diese parteipolitisch motivierte Verkürzung der Idee von Geschlechtergerechtigkeit auf „Homo-Ehe“, diese heteronormativste aller Forderungen, propagiert vor allem von der grünen Galionsfigur jener Jahre, übertünchte den alten Gegensatz für ein, zwei Jahrzehnte. Sie erlaubte den ganzen großen und kleinen Radszuweits, den Homophilen und Schrankschwuchteln, an eine Bewegung anzudocken, deren ursprüngliche Ziele sie verachteten, bis sie in den letzten Jahren immer mehr glauben durften, es sei eigentlich die ihre, sie seien in Wahrheit die schweigende Mehrheit und könnten bestimmen, wann es denn mal gut sei mit den sexuellen Zwischenstufen. Ohne je wirklich etwas für ihre eigene Befreiung getan zu haben, wollen sie jetzt wenigstens den Schlusspunkt dieser Befreiung definieren. Oder plakativer: Wenn man nur lange genug Volker Beck vorne rein getan hat, kommt David Berger hinten raus.

Ich wollte als junger Mensch hinein in eine schwule Identität, weil sie das Versprechen bot, wild zu sein und gefährlich und jenseits bürgerlicher Normen zu leben und nicht weil sie einen Ehemann versprach, einen Bungalow und einen Golden Retriever. Ich habe nichts gegen diesen besonderen Lebensentwurf, doch man muss schon in einem äußerst strukturprovinziellen und konsensbesoffenen Land wohnen, in dem der Erfolg von Familienpolitik noch nach ausgetragenen Föten pro Gebärmutter berechnet wird, um den Erfolg bei der Gleichstellung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten vor allem von der Gleichheit der Ehe abhängig zu machen.

Die Deutsche Aids-Hilfe weiß aus dreißig Jahren Präventionsarbeit, dass die Realität eine völlig andere ist. Wäre nicht die Homo-Ehe der wichtigste Indikator für Fortschritt in LGBT-Fragen, sondern die Suizidrate unter LGBT-Jugendlichen, wir müssten aufgrund der gleichbleibend hohen Zahlen die Emanzipationspolitik der letzten dreißig Jahre komplett für gescheitert erklären. Die DAH hat durch ihre Arbeit vor Ort erkannt, dass die Stärkung des Selbstbewusstseins der Schwächsten in dieser von Homo- und Transphobie (und nicht zu vergessen: internalisierter Homo- und Transphobie!) zerfressenen Minderheit das Rückgrat bildet für den Erfolg ihrer Botschaften. Darum kann und darf sie keine Publikation unterstützen, die, just in dem Moment, in dem ein Haufen fundamentalistischer Quartalsirrer gegen einen Sexualkundeunterricht der Vielfalt Sturm läuft, dieses Kernstück emanzipatorischen Fortschritts selbst als Ausgeburt „wirrer Queer-Ideologen“ diffamiert.

Ich habe zugegeben in den Nullern lange glauben wollen, der Kampf von 1968 sei irgendwann um 1990 in einem Unentschieden geendet: Die Rechten hätten in Wirtschaftsfragen gewonnen, die Linken in der Gesellschaft. Aber so ist es nicht. Der Kampf zwischen Fortschritt und Reaktion geht weiter. In der Wirtschaft zwischen Keynesianern und Marktradikalen, in der Gesellschaft zwischen jenen, die Aufklärung, wenn überhaupt, dann höchstens zähneknirschend als einen Wertekanon aus dem 18. Jahrhundert akzeptieren und jenen, die verstanden haben, dass der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit eine fortdauernde Entwicklung ist, ein nicht endender Prozess der Menschwerdung.

Und darum, lieber J. ist das kein Zickenkrieg. Mögen die modernen Radszuweits, die durchgebeckten Homophilen und ihre Sekundanten, die verbürgerlichten Altmaoisten und die Verleger, die ihre Spenden nach Gutsherrenart verteilen wie Schulnoten, mögen sie von dannen ziehen. Uns verbindet nicht viel mit den Spahns, den Bergers, den Daenens - die Vorliebe für ein, zwei Sexualpraktiken allenfalls, nichts Abendfüllendes. Unsere Verbündeten sind andere, sind jene, die aus ihrer Minderheitenerfahrung Mitgefühl entwickeln und nicht Taubheit, die nicht nach oben buckeln und nach unten treten, denen Frauenrechte wichtiger sind als Embryonenrechte, die Flüchtlinge als Bereicherung empfinden und unseren Umgang mit ihnen als Belastung, die nicht Muslime und „Queer-Ideologen“ für Homophobie verantwortlich machen, sondern die Homophoben. Es trennt sich nur wieder, was nie zueinander gepasst hat. Das Schöne an solchen Scheidemomenten ist: Ich weiß wieder, wo ich stehe und ich bin mir sicher, du weißt das auch!

Dein Dirk

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