Berlin

„Wir müssen immer weiter skandalisieren“

13. Jan. 2015
Rechtsanwältin Alexandra Goy

Das Bundesverdienstkreuz für eine engagierte und mitunter unbequeme Rechtsanwältin: Die Feministin Alexandra Goy im Interview über ihr bewegtes und bewegendes Leben

Alexandra Goy hat das erste Frauenhaus West-Berlins und den Frauennotruf mitgegründet und als Strafverteidigerin viele Gewaltopfer vertreten. Sie hat die Gesetze gegen Vergewaltigung in der Ehe, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und das Gewaltschutzgesetz mitgeprägt und zu Veränderungen beigetragen. Außerdem war sie eine der Begründerinnen der feministischen Juristinnenzeitschrift STREIT. Ende 2014 wurde der 1944 geborenen Rechtsanwältin und Notarin Alexandra Goy das Bundesverdienstkreuz zugesprochen

Frau Goy, wie war Ihre Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Sie das Bundesverdienstkreuz bekommen. Ich habe mit Freundinnen aus der alten autonomen Frauenbewegung lange überlegt, ob es überhaupt richtig ist das Kreuz anzunehmen!

Warum? Weil in der Regel Männer geehrt werden, die staatliche Interessen wahrnehmen. Eine solche Ehrung stellt also eine gewisse Vereinahmung dar, insofern sich der Staat posthum an der Leistung der Geehrten beteiligt.

Und was hat letztlich dafür gesprochen, das Bundesverdienstkreuz anzunehmen? Der Staat erkennt damit die Leistungen der autonomen Frauenbewegung an. Schließlich war sie es, die seit Ende der 60er Jahre Missstände aufgedeckt, und durch unzählige Aktionen die Bundesregierung aufgefordert hat, Gesetze zugunsten der Frauen zu ändern.

Sie haben ein stark ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein ... Nein! Rechtsbewusstsein! Das im Übrigen familiär bedingt ist. Es gab bei uns kein Schweigegebot, im Gegenteil, Zivilcourage war eine Selbstverständlichkeit. Aber auch die deutsche Nazivergangenheit hat mich geprägt. Ich gehöre zur Nachkriegsgeneration, die ehemalige Nazigrößen als Politiker und Uniprofessoren erlebt hat. Dagegen haben wir 68 demonstriert. Dann haben Frauen gegen die männlichen Machteliten den Mund aufgemacht, und die Frauenbewegung entstand. Wir haben in Berlin das erste Frauenhaus gegründet, und in diesem Zusammenhang bin ich viel mit häuslicher Gewalt und Missbrauch konfrontiert worden.

Haben Sie damals erkannt, dass die von Frauen erfahrene Gewalt keine Privatsache bleiben darf? Die Frauen hatten den Mut sie öffentlich zu machen und ich habe ihnen, in rechtlicher Hinsicht, geholfen. Damals galt die Devise: das Private ist politisch. Ich möchte aber hinzufügen, dass für mich schon die Ausübung alltäglicher Gewalt politisch ist, insofern sie verhindern soll, dass Frauen die gleichen Rechte haben. Dieses Prinzip, der gleichen Rechte, ist heute eine Selbstverständlichkeit. Was heißt, es im Einzelnen durchzusetzen und zu realisieren, erkennt allerdings kaum jemand an.

Wie sind Sie mit dem Gegenwind umgegangen, der ihnen entgegenschlug? Ich wusste, dass ich im Recht bin. Ich empfand es als primitiv, wie Frauen eingeschüchtert werden. Abgesehen davon wird jemand, der auftritt wie ich, auch sehr geschätzt.

Durch Sie hat das Rechtsmittel der Nebenklage wieder an Bedeutung gewonnen ... Bis in die 70er-Jahre, haben Opfer als Zeugen zwar ausgesagt, nicht aber der Verhandlung beigewohnt – genauso wenig wie ihre Anwälte. Dadurch waren Falschaussagen von Tätern kaum nachweisbar. Dieser wiederum hatte das Recht auf einen Anwalt, der während des Verfahrens zugegen war. Ich habe mir damals die Strafprozessordnung genauer angesehen und festgestellt, dass es die Möglichkeit der Nebenklage gibt, um dem Verfahren beizuwohnen. Das Opfer kann so, in Begleitung seines Anwalts, am Gerichtsverfahren teilnehmen.

Dafür wurden Sie aber auch angegriffen ... Die Richter und Verteidiger haben es als nervig empfunden, dass sich eine weitere Person in die Verhandlung einbringt. Das war für die das Allerschlimmste. Das waren sie nicht gewöhnt. Wie wichtig es ist, dass ein Opfer auf die Aussagen eines Täters reagieren kann, hat sich dann aber sofort gezeigt. Wir haben aus einem Rechtsobjekt wieder ein Rechtssubjekt gemacht.

Was hat sich in den letzten 50 Jahren verändert? Nicht viel. Nach wie vor, wird die Glaubwürdigkeit der Opfer grundsätzlich in Frage gestellt, obwohl die Anzahl der Falschaussagen bei Vergewaltigungen geringer ist als bei jedem anderen Delikt. Das hat dazu geführt, dass die Zahl der Anzeigen enorm zurückgegangen ist.

Was muss sich in Zukunft noch ändern? Das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung und vor allem das der Richter. Wir Frauen müssen am Ball bleiben, wir müssen immer weiter skandalisieren, aber ich fordere auch, dass die Männer für uns kämpfen.

Interview: Susann Reck

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