FILM

„The Imitation Game“, Kinostart am 22.01.

18. Jan. 2015
(c) SquareOne (DCM)

Eine Zeit lang schien es, als würde der Abräumer der Oscar-Saison 2015 bereits feststehen. Ein stringent erzähltes Biopic über ein tragisches Genie wie Alan Turing, meisterhaft gespielt von Hollywoods neuester Trophäe Benedict Cumberbatch, der soziopathische Gentlemenfiguren wie Victor Frankenstein, Sherlock Holmes oder Turing nur so aus dem Ärmel schüttelt – dafür wurden die Academy Awards doch quasi ins Leben gerufen. Fünf Golden-Globe-Nominierungen später mischt sich in den Jubel allerdings Kritik. Entzündet hat sie sich vor allem an dem wenig offensiven Umgang des Films mit Turings Homosexualität.
Dessen Geniestatus beruht auf der Entwicklung der Turingmaschine. Eine Art Protocomputer, der ihn zum Begründer der modernen Informatik werden ließ und mit dessen Hilfe er auch die deutschen Funksprüche im Zweiten Weltkrieg entzifferte. Doch dieser Held, der maßgeblich den Ausgang des Krieges beeinflusste, wurde nicht gefeiert, sondern in den 50ern wegen Homosexualität verurteilt, chemisch kastriert und mit 41 in den Selbstmord getrieben. Nun verschweigt der Film weder Turings sexuelle Identität noch diesen Fakt. Im Gegenteil! Was wir auf der Leinwand sehen, ist ein einziger betroffener Ablassbrief für dieses Verbrechen. Aber Turings Homosexualität ist mit überraschend altmodischer Zurückhaltung inszeniert. Keine Affären, keine Bettszene, nicht einmal ein Kuss, alles spielt sich in Dialogen, Blicken und Andeutungen ab – fast wie in einem Hollywoodfilm der 60er-Jahre, als man vorsichtig begann andere Formen der Sexualität beim Namen zu nennen. Indem „The Imitation Game“ sich auch sonst stilistisch an das Kino dieser Zeit anlehnt, reproduziert er auf eigenwillig authentische Weise Turings Epoche, in der diese Dinge weitgehend diskret verhandelt werden mussten.
Gegen Ende werden noch mal schwere Geschütze aufgefahren: Da gibt Turing seiner Maschine zärtlich den Namen Christopher, und hinter der manischen Besessenheit für sein Werk, das einige der wichtigsten zeitgeschichtlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts mit sich brachte, wird das Leiden an einer großen, tragisch geendeten Jugendliebe sichtbar. Doch wer schon die Klaviatur des Melodrams derart bemüht, sollte sie nicht nur leise anschlagen, sondern sich auch trauen sie konsequent zu Ende zu spielen.

Andreas Scholz

„The Imitation Game“, UK/USA 2014, R.: Morten Tyldum, mit Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, ab 22.01. im Kino

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