Kommentar

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Frankreich ist Charlie

25. Jan. 2015
L-MAG-Redakteurin Dana Müller

Dana Müller, Redakteurin bei unsere Schwesterzeitschrift L-MAG, lebte bis vor kurzem in Paris. Die Attentate auf die Redaktion von Charlie Hebdo waren für ihre Freunde dort ein schwerer Schock

„Scheiße, Schießerei vor dem INRS*! Ich habe drei Pistolenschüsse und mindestens ein Dutzend Maschinengewehrschüsse gezählt …! Alle Bullen aus Paris sind hier“, postete ein Freund aus dem Nachbargebäude der Redaktion von Charlie Hebdo zum Augenblick des Attentats. Nur eine Minute später der Kommentar: „Arbeitest du jetzt in der Bronx?“ Auch der Nächste scherzte noch: „Hey man, zeig ihnen wer hier der Boss ist.“ Doch schnell lachte niemand mehr. Ein unbeschreiblicher Schock ging durch das Land.

Eine Freundin sagte mir einige Tage nach dem Attentat unter Tränen: „Du kannst das nicht verstehen! Wir sind mit den Zeichnungen von Cabu, Charb, Tignous und Wolinicki aufgewachsen. Die waren immer da. Die waren für uns wie eine Familie. Jetzt sind sie tot, das ist, als ob ich ein Familienmitglied verloren hätte.“ Ja, aus deutscher Sicht fällt es schwer das zu verstehen.

Seit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen 2006 stand Charb (Direktor von Charlie Hebdo) auf der Todesliste von al-Qaida und die Redaktion unter ständigem Polizeischutz. Doch Charlie steht für gesellschaftliche Kritik und Satire. Das ist in Frankreich ganz klar Presse- und Meinungsfreiheit und diese Werte haben dort eine ganz besondere Bedeutung. Seit der Französischen Revolution 1789 sind in die Identität eines jeden Franzosen, einer jeden Französin drei Worte eingebrannt: „Liberté, Égalité, Fraternité“ – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Das Attentat auf Charlie Hebdo, war für die französische Gesellschaft nicht nur ein brutaler politischer Akt, es war ein Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit, auf die Grundwerte, ja auf die Identität eines jeden Franzosen, einer jeden Französin. Dazu zählen Christen, Juden und auch Muslime.

Deshalb ging nur wenige Tage nach dem Angriff in ganz Frankreich die Menschen auf die Straße. Gemeinsam trugen Atheisten, Christen, Juden und Muslime Schilder auf denen Stand „Je suis Charlie“. Gemeinsam trauerten sie. Nur die Front national (die Nationale Front) wurde ausgeschlossen, für Rassismus sollte kein Platz sein.

Loïc wohnt im 11. Arrondissement in Paris, dem Viertel der Redaktion von Charlie. Er erfuhr von dem Attentat während er arbeitete. Sein Freund schrieb ihm eine SMS. Auch er ging zu der Demonstration. „Es war wichtig hinzugehen, weil wir das alle brauchten. Das war fast schon körperlich. Jeder musste einfach hingehen. Die Straßen um den Place de la Republique waren voller Menschen, auch Familien waren da. Ich glaube Paris hat so etwas noch nie erlebt. Manche haben es sogar mit der Befreiung von Paris 1944 verglichen“, erzählt er, „Die Atmosphäre war wirklich ganz besonders. Es war irgendwie ruhig. Es herrschte ein Wohlwollen zwischen den Menschen. Doch ab und an wurde das von dem gemeinsamen Schreien eines Wortes unterbrochen. Aus vollem Herzen schrien die Menschen ,FREIHEIT‘!“

Für dieses Wort kämpfte die übriggebliebene Redaktion von Charlie Hebdo auch nach dem Attentat. Sie zog kurzerhand unter das Dach der Libération und produzierten die nächste Ausgabe. Das Resultat ist im altbekannten Stil – satirisch, provozierend und kritisierend. Eine Karikatur auf der letzten Seite der Ausgabe zeigt die beiden Terroristen im Himmel, die sich fragen: „Wo sind denn jetzt unsere 70 Jungfrauen?“ Hinter einer Wolke schallt es hervor: „Bei dem Team von Charlie, ihr Deppen“.

Dana Müller

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