Kultur

Satter Sound für Pollesch

13. März 2015
© LSD/Leonore Blievernicht

Jetzt also noch die Oper. Was hat René Pollesch nicht schon alles an Kunst-und Unterhaltungsformen durch seinen Diskurs-Fleischwolf gedreht. Aber natürlich springt Pollesch mit „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ nicht einfach auf den grassierenden Opern-Hype auf. Auch diese bürgerlichste aller Kunstformen wird bei Pollesch nur zum reinen Zitat und zur bewusst leeren Hülle herabgewürdigt. Wie eines seiner absurden Requisiten sitzt das Filmorchester Babelsberg vor dem mit dunkel-silbrigen Lametta ausgeschmückten Bühnenrund und spielt die schmissigen Kompositionen von Tocotronic-Gitarristen Dirk von Lowtzow. Die Musiker bekommen aber nur dann Gelegenheit zu spielen, wenn Polleschs Schauspieler-Trio eine Atempause einlegt. Oder zum recht brüchigen Liedvortrag anhebt. Ansonsten bilden die drei meist ein bunt-glitzerendes Mini-Symposium und kauen sehr unterhaltsam die Auflösung jeder Gewissheit durch: Das Subjekt als reiner Oberflächeneffekt, der Mangel an brauchbaren Geschichten zur immer schwieriger werdenden Konstruktion der Identität. Und immer wieder das Begehren als letzter Halt: Lustvoll-verzweifelte Identitäts- und Beziehungskrisen immer entlang der von Lacan, Žižek und Konsorten verorteten Abbruchlinien.

Aber natürlich schwebt auch diesmal ein echtes Requisit ein: Ein riesiger Orca-Wal, in dem es sich die Schauspieler immer wieder ungemütlich machen. Er gehört zu den Trash-Elementen, die den Pollesch-Theorie-Brei überhaupt verdaulich machen. Die Fallhöhe zu den Theorie-Splittern ist dabei bewusst steil. Abrupt tun sich geniale Kalauer-Abgründe auf: Der Auftritt eines putzigen Kinderchors, glitzernde Phantasie-Kostüme (Wuttke als Amphibienmensch), verwurstete Zitate aus Hollywood-Klassikern. Oft reicht auch schon eine eingestreute Alltagsfloskel für einen Lacher. Aber diese hinreißenden Elemente des Glamour, Camp und Trash sind diesmal geiziger eingesetzt als in früheren Produktionen. Könnte Pollesch es diesmal doch ernsthaft ernst meinen mit seinen düsteren Zustandsbeschreibungen?

Allen Pollesch-Einsteigern, die kaum die Hälfte verstehen werden, seien getröstet: Die sich überlagernden Fragezeichen im Kopf des Zuschauers sind Teil von Polleschs theatraler Strategie. Beruhigenderweise stellt Pollesch seinen genialen Stamm-Interpreten immer wieder einen (meist gut aussehenden) Jungdarsteller als Identifikationsangebot zur Seite, der angesichts der Komplexität der Texte ganz offensichtlich überfordert ist. Diese Besetzungst-Taktik ist eine von Polleschs Verfremdungseffekten 2.0, die er im Kampf gegen das verhasste Repräsentationstheater auffährt. Und auch wohl eine Prise SM spielt eine Rolle. Den undankbaren Part des überforderten Schönlings übernimmt diesmal Franz Beil, neben dessen stümperhafter Deklamation sich die Beiträge der beiden Pollesch-Routiniers um so anbetungswürdiger darstellen. Martin Wuttke fallen und stolpern die Polleschs Worte von Inszenierung zu Inszenierung flüssiger von den Lippen. Und Lilith Stangenbergs naiv-natürliche Zerbrechlichkeit passt kongenial zu gespielt-existenziellen Verzweiflung, die aus Polleschs Texten sprechen will und muss. Das Thema Gentrifizierung übrigens spielt in „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ etwa so eine große Rolle wie in Wagners Ring. Der Titel, nur ein Vehikel, eine weitere falsche Fährte. Ein typischer Pollesch eben. Nur diesmal mit Breitband-Sound.

Carsten Bauhaus

„Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“, Oper von Dirk von Lowtzow und René Pollesch, 14., 21., 22., 31.03., 09., 14., 23.04., Volksbühne Berlin

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