Politik

Queeramnesty zum Amnesty International Report 2014/15

14. März 2015
Stephan Cooper (c) Tanja Schnitzler

Interview mit Queeramnesty-Mitarbeiter Stephan Cooper

Ende Februar veröffentlichte Amnesty International einen Report, der die verheerende Menschenrechtssituation in vielen Ländern der Welt beschreibt. Angesichts der zunehmenden Brutalität bewaffneter Gruppen forderte Amnesty die Internationale Gemeinschaft auf, den Schutz der Zivilbevölkerung ins Zentrum der Politik zu stellen. Teil von Amnesty ist die Themengruppe Queeramnesty, die sich für Menschen einsetzt, die aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden. SIEGESSÄULE.DE hat sich mit Gruppensprecher Stephan Cooper über die weltweite Menschenrechtslage von LGBTIs unterhalten.

Stephan, laut Bericht von Amnesty International ist die Menschenrechtslage 2014 katastrophal gewesen, angesichts des Terrors der IS und Boko Haram, der größten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg oder der Konflikte in der Ukraine. Inwieweit waren LGBTI hier im Besonderen betroffen?
Sie sind in großem Maße betroffen. Afrika war für uns im letzten Jahr ein Schwerpunkt, weil dort die Verfolgung von LGBTI zugenommen hat. In Südafrika gab es beispielsweise Vergewaltigungen von lesbischen Frauen. „Corrective rape“ wird das genannt, bei der die Vergewaltiger beanspruchen, die sexuelle Orientierung ihres Opfers zu „korrigieren“. Südafrika hat ein Antidiskriminierungsgesetz, welches zu den besten der Welt gehört, aber es ist in der Gesellschaft noch nicht angekommen. In den Gebieten, wo der IS auftritt, wird vermutete Homosexualität mit dem Tode bestraft. Die Leute werden erschossen, von Dächern gestoßen. Da recherchiert Amnesty zur Zeit noch. Im Sudan, in Mauretanien, Jemen steht auf Homosexualität die Todesstrafe – allerdings gibt es kaum Informationen aus diesen Ländern.

Woher kommen eure Infos?
Aus unterschiedlichsten Quellen. Wir haben zum Beispiel Journalisten vor Ort, mit denen wir arbeiten. Amnesty hat sich im Laufe seiner Geschichte zunehmend dezentralisiert. Das heißt, dass wir mittlerweile auch in vielen betroffenen Gebieten vertreten sind. In Afrika haben wir jemanden, der dort für mehrere Länder zuständig ist und für uns recherchiert. Es ist wichtig vor Ort zu sein, um mit Gruppen in Kontakt zu treten, die Menschenrechtsarbeit leisten, und auch um aktiv Gruppen mitaufzubauen.

Welche weiteren Strategien habt ihr, um die Situation zu verbessern?
Grundsätzlich geht es erst einmal darum, dass wir bei den Ländern, die die allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterschrieben und ratifiziert haben, Druck machen, dass sie diese auch einhalten. In Bulgarien waren wir mit einem Fall konfrontiert, wo ein Mensch aufgrund seiner Homosexualität umgebracht wurde, doch von offizieller Seite ist dem nicht weiter nachgegangen worden ... Es gibt mehrere Strategien. Wichtig ist unsere „urgent action“, bei der öffentlichkeitswirksam eine Vielzahl von Appellen gestartet wird. Einflussreiche Politiker, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Schriftsteller müssen ihren Protest kundtun. Es gibt Aktionen wie den Brief-Marathon, der immer zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember initiiert wird, bei dem Tausende Briefe zugunsten akut bedrohter Menschen schreiben. Mittels eines solchen Brief-Marathons wurde auch der Fall des saudischen Bloggers Raif Badawi bekannt gemacht, der in seinem Heimatland zu 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Es ist wichtig, einzelne Fälle durch solche Protestaktionen oder Demos vor den Botschaften an die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn wir auf konkrete Fälle eingehen, dann können sich die Leute damit identifizieren.

Was kann hier in Berlin jeder einzelne konkret tun um zu helfen? Jeder ist eingeladen, bei uns mitzumachen! Man kann ehrenamtlich mitarbeiten oder bei unseren Aktionen helfen. Direkt hier in Berlin brauchen zum Beispiel Flüchtlinge Unterstützung, die einen Asylantrag stellen. Man sollte schauen, ob man die Leute begleiten, ob man ihnen bei Ämtergängen Hilfe anbieten kann.

Es gab im Amnesty International Report auch Kritik an Deutschland. Wie sah die aus? Hier geht es vor allem um das Transsexuellen-Gesetz. Es ist kritisiert worden, dass Transpersonen ein formales Verfahren durchlaufen müssen, um ihr Geschlecht und ihren Namen zu ändern. Dazu gehört auch eine gerichtlich angeordnete psychiatrische Diagnose und ein Expertengutachten. Das widerspricht den Rechten von Transgendern auf Achtung ihres Privatlebens. Wir sind da im Moment dran. Wir versuchen, dass dieses Gesetz geändert wird und dass im Pass auch die Angabe männlich oder weiblich wegfällt. Da haben wir schon einen Antrag an die Jahresversammlung von Amnesty International gestellt.

Trotz der allgemein katastrophalen Situation, die der Report beschreibt, gab es denn aus der Sicht von queeramnesty auch Fortschritte zu verzeichnen? In Europa hat sich eine Menge getan, was zum Beispiel gleichgeschlechtliche Ehen angeht. Aber außerhalb von Europa und Amerika zeigen sich keine Verbesserungen. In Afrika gibt es immerhin kleinere Menschenrechtsgruppen, die sich gegründet haben. Sie suchen den Kontakt zu uns, um wahrgenommen zu werden. Durch die Unterstützung aus dem Ausland ist auch ein gewisser Schutz gewährleistet, den die offiziellen Stellen in den Ländern nicht bieten können oder wollen.

Interview: Andreas Scholz

Mehr Infos unter queeramnesty.de

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