FILM

Alles im Fluss: François Ozons neuer Film ab 26.03. im Kino

22. März 2015

Meisterregisseur François Ozon führt uns in seinem Melodram „Eine neue Freundin“ auf die Entdeckungsreise in ein Drag-Wunderland

Ein queeres Märchen über Transvestismus hat Ozon inszeniert. Leichtfüßig, aber auch wunderbar morbid suhlt es sich in den Obsessionen der französischen Bourgeoisie und garniert diese mit nekrophilen Obertönen. Bereits die erste Szene stiftet auf grandiose Weise Verwirrung: Eine junge Frau ist zu sehen, hergerichtet wie zu einer Hochzeit. Doch die geschmückte Braut wird als Leiche erkennbar, als sich unvermittelt der Sargdeckel über ihr schließt. Statt auf einer Hochzeit befinden wir uns auf der Beerdigung von Laura. Deren bis zu einer schweren Krankheit wohlsituiertes, geregeltes Leben, die enge Beziehung zu ihrer besten Freundin Claire werden in einer virtuosen Montagesequenz auf ihre emotionalen Höhepunkte verdichtet.

Nach diesem Beginn ist klar, dass Ozon in seinem neuen Film vor Inszenierungslust sprüht! Gleichzeitig legt sich durch den starken Auftakt auch der Schatten der Toten als eindringliche Präsenz über den weiteren Verlauf. Laura hinterlässt ein kleines Kind und einen Ehemann, David. Als Claire den Witwer überraschend besucht, entdeckt sie sein Geheimnis. Er ist ein Transvestit, der seine Vorliebe nur im Verborgenen auslebt, wenn er sich in seinem Haus die Kleider von Laura überzieht. Claire reagiert überzogen, beschimpft ihn als pervers, während David sie flehentlich bittet, ihn nicht zu verraten. Obwohl die Story in der Jetztzeit spielt, wirkt ein solches Verhalten wie ein Relikt der Sexualpolitik aus den 50er- oder 60er-Jahren. Auch wenn David seine weibliche Identität überstreift, scheint der Film aus der Zeit zu fallen. Der Auftritt in Drag ist bei Ozon mit dem nostalgischen Glamour großer Diven wie Grace Kelly oder Tippi Hedren inszeniert. Es blitzen gar Elemente der Gothic Novel auf. In einer Rückblende sehen wir, wie seine Lust am Drag geweckt wird, als er seiner verstorbenen Frau auf äußerst sinnliche Weise das Totenkleid anlegt.

In dieser seltsam unverorteten Welt überwindet Claire ihre anfängliche Abneigung. Sie ist zunehmend fasziniert von Davids Transformation in eine Frau, die sie liebevoll Virginia nennt und als neue Freundin akzeptiert, die den Platz von Laura einnimmt. Immer weiter wagen sich beide in die Öffentlichkeit vor, während Claire beginnt Virginia auch erotisch zu begehren. Aber war nicht zwischen ihr und Laura ebenfalls mehr als nur Freundschaft? Doch die Geschichte läuft nicht darauf hinaus, dass Claire ihr Coming-out als Lesbe erlebt. Bei Ozon finden sich die sexuellen Identitäten im Fluss, ohne dass sie konkret ausbuchstabiert werden. Manchen mag sauer aufstoßen, dass bei aller Ironie und liebevollen Charakterzeichnung das Spiel mit den Geschlechtern hier immer etwas Gefährliches, geradezu Unheimliches hat: Travestie als Spiel mit dem Feuer. Und so ist dieses Märchen mit dem Thrill eines Hitchcock-Films inszeniert, indem queere Clubs wie skurrile, geheimnisumwitterte Orte wirken, die nur im Untergrund existieren. Aber es sind genau diese Irritationen, die in Verbindung mit der inszenatorischen Meisterschaft hier für einen magischen Moment nach dem anderen sorgen.

Andreas Scholz

SIEGESSÄULE präsentiert: „Eine neue Freundin“, 23.03., 22:00 bei Mongay, Kino International, ab 26.03. im Kino

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