Menschenrechte

„Ein Schlag ins Gesicht“

21. März 2015
Monika Michell (c) Uwe Steinert

21.03. – Jahrelange Misshandlungen durch Angehörige, angedrohte Zwangsverheiratung, Entführung. Und das alles nur, weil Nasser schwul ist. Die Geschichte des 18-jährigen Berliners, der seine eigenen Verwandten vor Gericht brachte, hat deutschlandweit Aufsehen erregt. Der Prozess am 12. März 2015 war für viele eine Enttäuschung – auch für die von Anfang an involvierte Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES. SIEGESSÄULE.de hat mit Monika Michell vom Referat „Gewalt im Namen der Ehre“ über das Urteil gesprochen, das für die Angeklagten lediglich eine Geldstrafe vorsah.

90 Tagessätze à 15 Euro. Wie schätzen Sie das Urteil ein? Das Urteil selbst kam nicht überraschend. Da vor Gericht das Delikt Freiheitsberaubung verhandelt wurde, das mit einer Geldstrafe geahndet werden kann, ist an dem Urteil, rein juristisch gesehen, erst einmal auch nichts auszusetzen.

Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, ist, dass der Prozess schlussendlich keine fünf Minuten gedauert hat. Ich hätte mir gewünscht, dass Nasser zumindest die Möglichkeit bekommt, noch einmal öffentlich auszusagen. Neben der Strafe für die TäterInnen ist es für die Betroffenen vor Gericht wichtig, dass sie angehört und verstanden werden. Dies wurde Nasser genommen.

Trotz der juristischen Korrektheit kritisieren der LSVD und andere Verbände das niedrige Strafmaß. Das Urteil ist in der Außenwirkung tatsächlich fatal. Für potentielle TäterInnen ist das Urteil keine Abschreckung. Betroffene und Bedrohte von Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre werden in ihrem Eindruck bestärkt, dass sie nichts gegen ihre Peiniger ausrichten können. Vom Urteil hätte idealerweise ein Signal ausgehen müssen, dass eine Anzeige auch zu Konsequenzen führt. Das fing ja schon damit an, dass die angezeigte (angedrohte) Zwangsheirat überhaupt nicht zur Verhandlung zugelassen wurde. Gerade für diejenigen, die befürchten, ins Ausland verschleppt zu werden, um dort zwangsverheiratet zu werden, ist die bloße Geldstrafe für die Verschleppung ein Schlag ins Gesicht.

„Spezialisierte Schutzeinrichtungen für Jungen gibt es überhaupt nicht“

Sind Ihnen ähnliche Klageverfahren bekannt? Es gab einige Verfahren, in denen es um Freiheitsberaubung/<wbr></wbr>Geiselnahme/Entführung in Zusammenhang mit – angedrohter bzw. vollzogener – Zwangsheirat ging, wobei der Straftatbestand Zwangsheirat selbst nicht Gegenstand des Prozesses war. Zum Beispiel hat das Landgericht Saarbrücken im Januar 2012 zwei Männer wegen Geiselnahme zu Haftstrafen verurteilt. Die Entführung haben die Männer in diesem Fall zugegeben, allerdings nicht die Absicht, die 17-jährige Nichte zwecks Zwangsverheiratung in die Türkei zu verschleppen.

Zu Zwangsheirat in Deutschland gab es dagegen erst ein einziges Urteil. Im Dezember 2014 wurde ein Vater zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt, weil er seine Tochter gegen ihren Willen zu einer Ehe mit dem Sohn eines Arbeitskollegen gezwungen hatte.

Warum gibt es nicht mehr Prozesse, bei denen es tatsächlich um Zwangsverheiratung geht? Leider ist die Beweislage oft ein Problem. Und es kommt auch vor, dass Betroffene während eines Verfahrens von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen oder ihre Anklage zurückziehen. In diesen Fällen wurde wohl der Druck aus dem Familienumfeld zu groß. In der Regel ist ja die Aussage der Betroffenen der einzige „Beweis“ für eine (angedrohte) Zwangsverheiratung.

Was muss geschehen, um Betroffene besser zu schützen? Ein wichtiger Aspekt ist, dass es in Deutschland bisher nur eine spezialisierte Beratungsstelle gibt, die auch Jungen berät. Spezialisierte Schutzeinrichtungen für Jungen gibt es überhaupt nicht. Die bundesweite Studie zu Zwangsheirat in Deutschland des Bundesfamilienministeriums hat jedoch auch ca. 250 betroffene Jungen und Männer gezählt.

Um Zwangsverheiratungen nachhaltig zu bekämpfen, muss es aber auch einen Bewusstseinswandel in den Communities geben, der nicht von außen aufgezwungen werden kann. In der Zwischenzeit müssen die Betroffenen aber unterstützt und vor allem geschützt werden. Ebenfalls wichtig ist, dass alle Ehen unter Zwang bestraft werden. Das bedeutet, dass auch religiös oder sozial geschlossene Zwangsehen unter den Straftatbestand Zwangsheirat fallen müssen. Das ist bisher nicht der Fall.

Interview: Daniel Segal

zwangsheirat.de

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