Community

„Davon geht das Abendland nicht unter"

24. März 2015

Mit „Keine Angst in Andersrum" legt Dragqueen Olivia Jones ihr erstes Kinderbuch vor. Eine Herzensangelegenheit, wie sie im Interview mit SIEGESSÄULE.DE verrät

Die Hamburger Dragqueen Olivia Jones hat ein Kinderbuch geschrieben und will damit gezielt bereits im Kindergartenalter über sexuelle Vielfalt aufklären. Dafür kehrt sie in ihrem Buch die Verhältnisse einfach mal um

Warum war es dir wichtig, ein Kinderbuch zu schreiben? Weil ich mein ganzes Leben lang mit Diskriminierung und Intoleranz zu tun hatte und dabei gemerkt habe, dass sich daran nicht so viel geändert hat. Es ist immer noch so, dass sich mehr homosexuelle Jugendliche das Leben nehmen als heterosexuelle. Das zeigt doch, dass es wirklich langsam mal Zeit wird, das Problem an den Wurzeln zu packen. Warum sollten wir nicht schon im Kindergartenalter damit anfangen? Da wird das Rollenverhalten erstmals geprägt. Sie fangen an Vater-Mutter-Kind zu spielen und dann kann man den Kindern auch schon mal sagen, dass es auch was anderes gibt. Es gibt Männer, die Männer lieben und Frauen, die Frauen lieben. Ich bin dafür, den Kindern früh beizubringen, dass davon nicht das Abendland untergeht.

Das Buch beginnt ja damit, dass der siebenjährige Luis schwul" als Schimpfwort, nämlich als Synonym für „eklig", in dem Fall ekligen Spinat, verwendet. Das ist ja offensichtlich ein zeitloses Phänomen ... 
Ja, das war schon vor 15 Jahren bei den CSDs Thema. Auch dass diese Gewalt gegen Schwule immer noch da ist, das ist ja gar nicht nachzuvollziehen. Ich habe auch das Gefühl, es nimmt ein bisschen zu. Toleranz ist offenbar etwas, das immer wieder neu definiert und neu erkämpft werden muss. Man sieht das auch an Pegida. Natürlich sind da viele Ängste in der Gesellschaft und ich merke auch, dass ich wegen des Buches angefeindet werde. Viele missverstehen mein Anliegen. Es geht in dem Buch natürlich nicht um Sex und es geht auch nicht darum, dass ich irgendwelche Kinder schwul oder lesbisch werden lassen will. So einfach ist das ja auch nicht. Man wird ja nun mal nicht schwul oder lesbisch, weil man drüber spricht. Und man sucht sich das ja nicht aus. Wenn ich mir das hätte aussuchen können damals, ich hätte bestimmt nicht gesagt, ich möchte gerne schwul sein. Ich hätte natürlich den normalen Weg gewählt, weil das ja wesentlich einfacher ist.

Dennoch hast du dich dafür entschieden aufzufallen …
Ja, ich bin natürlich in die Offensive gegangen und mag es auch sehr gerne zu polarisieren. Ich weiß aber auch wie schwierig das für mich war. Das habe ich nach außen hin niemals gezeigt, aber ich fühlte mich schon sehr einsam. Meine Familie war nicht auf meiner Seite. Ich wurde von Mitschülern angefeindet. Das ging so weit, dass mir sogar Gewalt angedroht worden ist. Gerade für einen jungen Menschen in der Pubertät, der nicht weiß ob er Fisch oder Fleisch ist, ist das sehr, sehr schwierig. Ich bin froh, dass ich so stark und so mutig war, ich weiß, dass andere daran zerbrochen wären.

Dein Buch hat eine Geschichte in der Geschichte: Luis' Tante erzählt von „Andersrum", einem Land, in dem die Geschlechterverhältnisse genau anders verlaufen als bei uns und außerdem Frauen mit Frauen und Männer mit Männern zusammen leben. Was passiert, wenn man mal einfach alles genau umkehrt?
Das bewirkt, dass die Kinder zunächst mal überlegen, was überhaupt normal ist. Und dann können sie sich auch viel eher in das Thema rein versetzen. Denn in diesem Fall wären sie ja die Minderheit. Dann bekommen sie vielleicht mal ansatzweise ein Gefühl dafür, was es bedeutet ausgegrenzt zu werden, und dass das meist auch eher nichtige Gründe sind.

Kannst du das Buch auch Regenbogenfamilien empfehlen?
Na klar, es erleichtert ja die Aufklärung und ist wunderbar als Diskussionsgrundlage. Gerade Regenbogenfamilien müssen ja noch ein bisschen stärker sein, weil es da natürlich auch immer noch Ausgrenzungen gibt.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf?
Das ging über Eddy Kante, den Bodyguard von Udo Lindenberg, der seine Autobiografie dort veröffentlicht hat. So kam ich mit denen ins Gespräch. Es war gar nicht so leicht, einen Verlag zu finden. Die großen Verlage haben Angst um ihre konservative Klientel – allein schon dieser Ausdruck: wie im Mittelalter – das hätte ich gar nicht für möglich gehalten, dass die aufgrund dieses Kinderbuches Angst haben, dass Eltern bei denen keine Bücher mehr kaufen. Aber die von Schwarzkopf und Schwarzkopf waren von Anfang an Feuer und Flamme.

Und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Illustratorin? 
Über den Verlag. Ich habe mir mehrere angeschaut und bei Jana Moskito und mir stimmte einfach sofort die Chemie. Ich bin da sehr nach meinen Bauchgefühl gegangen und finde, dass sie das wirklich gut gemacht hat. Ich bin sehr sehr stolz auf das Werk und hoffe, dass es viele Kinder lesen. In Kindergärten werde ich auch Lesungen machen, da freue ich mich schon drauf. Die Kinder dürfen mir dann auch Fragen stellen, das wird bestimmt lustig.

Interview: Christina Reinthal

Olivia Jones: „Keine Angst in Andersrum. Eine Geschichte vom anderen Ufer, Illustrationen von Jana Moskito, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 56 Seiten, 9,99 Euro

Folge uns auf Instagram

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.