Film

Zum Kotzen schön

26. März 2015

Das schwedische Liebesdrama „Something Must Break“ der trans* Regisseurin Ester Martin Bergsmark („She Male Snails“) schert sich nicht um Geschlechtergrenzen und beschwört die Macht der wahren Liebe

– Bei all den rechtskonservativen Apokalyptikern des Genderwahns, die sich neuerdings auch in schwulen Netzwerken lautstark zu Wort melden, dürfte dieser Film ordentlich Würgereiz hervorrufen. Denn die viel zitierte Vielfalt der Geschlechter ist in diesem packenden Liebesdrama mehr als wohlfeile Theorie, sie zeigt sich in Fleisch und Blut. Und mit einer ungestümen Kraft, die von einem charismatischen Liebespaar ausgeht, das für sich nicht nur neue Grenzbereiche der Sexualität eröffnet, sondern sich auch den brennenden Gefühlen füreinander stellen muss. 

Andreas (Iggy Malmborg) und Sebastian (Saga Becker) heißen die beiden Twenty-Somethings, und auf den ersten Blick spricht alles dafür, dass wir es hier mit zwei schwulen Jungs zu tun habe. Nicht nur, dass sie sich ausgerechnet auf einer Stockholmer Klappe begegnen (wo der coole Lederjackenträger Andreas wie ein Retter in der Not auftaucht und den schmächtigen Sebastian davor bewahrt, verprügelt zu werden). Als sie sich das zweite Mal über den Weg laufen, landen sie auch schon zusammen im Bett und tun Dinge, die Schwule im Bett eben miteinander so machen.

Aber ganz so einfach ist diese sich zaghaft anbahnende Liebesgeschichte eben doch nicht. Nach einer dieser zärtlichen, lust- und liebevollen Nächte ist Andreas bemüßigt klarzustellen: „Ich bin nicht schwul.“ „Ich auch nicht“, beruhigt ihn Sebastian. Und als Zuschauer ahnt man bereits, dass sie beide wohl recht haben. Sie mögen zwar noch auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität sein, aber das starre Label „schwul“ passt auf sie ganz sicherlich nicht.

Denn der androgyne Sebastian traut sich mehr und mehr zu seinem weiblichen Ich zu stehen. Bei seinem Job im Lager eines Möbelhauses versteckt er seine langen Haare sicherheitshalber unter einer Wollmütze. Aber er wird mutiger – und selbstsicherer. Im Geheimen gibt Sebastian sich bereits einen neuen Namen: Ellie.

Und Andreas, der eigentlich auf Frauen steht, sich aber in Sebastian verliebt, will mit ihm bald nicht nur das Bett, sondern auch die Wohnung teilen. Diese Momente der Euphorie, in denen einfach alles genau so perfekt ist, wie es ist, sind durch ihre Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit einfach betörend. Weil die Handkamera immer dicht an den Figuren bleibt, rückt man auch als Zuschauer in eine geradezu intime Nähe. Der Film erhält so über weite Strecken fast dokumentarischen Charakter.

So lange sich die beiden Hauptfiguren ganz auf ihre gegenseitige Anziehung verlassen und lediglich ungläubig staunen, was da mit ihnen passiert, erscheint Ester Martin Bergsmarks Spielfilmdebüt wie eine Utopie für ein Leben frei jeglicher gesellschaftlicher wie sexueller Normierungen. Aber es gibt diese Blicke von Passanten, wenn sie sich in der Öffentlichkeit küssen, die vor allem Andreas unter Druck setzen und seine ambivalenten Gefühle kreisen lassen. „Du bist so schön, dass ich kotzen möchte“, bricht es einmal aus ihm heraus.

Ellie wiederum verletzen vielmehr Andreas‘ Freunde, die sich zwar mit vermeintlich politisch-korrekten Akzeptanzbekundungen hervortun, aber in ihr letztlich doch nur den befremdlichen Exoten sehen. Um diesem Druck standhalten zu können, muss ein Mensch, muss eine Liebe sehr stark sein. Und hier erweisen sich Frauen als das wirklich starke Geschlecht – und Ellie als würdige Vertreterin.

Axel Schock

Something Must Break, S 2014, R.: Ester Martin Bergsmark, ab 26.03. im Kino

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