BÜHNE

„Absolute Popkultur“

7. Apr. 2015
Andre Eisermann (c) Ansichtssache Worms

Den Tourneestart zu seiner Performance „Werther, reloaded“ feiert André Eisermann am 8. April in der Berliner Kulturbrauerei. Mit Berlin verbindet ihn viel Persönliches, mit Goethes „Werther“ auch

„Die Gefühle des Werther sind Gefühle, die wir alle haben, wenn wir uns verlieben – ob als Schwuler, Lesbe oder Hetero“, sagt André Eisermann im Gespräch mit SIEGESSÄULE. Bekannt geworden war Eisermann Mitte der 90er-Jahre durch seine eindrückliche Darstellung des „Kaspar Hauser“ und als Johannes Elias Alder in Joseph Vilsmaiers „Schlafes Bruder“. Stoffe, die in einer Zeit vor rund zweihundert Jahren angesiedelt sind, ähnlich wie „Die Leiden des jungen Werther“ – Goethes Briefroman über die hoffnungslose Liebe eines jungen Mannes, zu der bereits vergebenen Lotte, der zum europäischen Bestseller wurde, also total hip.

„Absolute Popkultur, und so wollen wir es auch rüberbringen", sagt André Eisermann über den Text, der die Grundlage seiner Performance „Goethe Werther Eisermann“ bildet. Dieser bleibt dabei (wenn auch natürlich nur in Auszügen vorgetragen) unangetastet. Was Eisermanns Lesung zur „Spoken Word Performance“ macht, sind der effektvolle Einsatz von Licht und die eigens von Jakob Vinje komponierte Musik. Er begleitet den Schauspieler am Flügel. Die Musik schafft einen ganz eigenen Zugang zum Stoff. Vor allem ist es aber Eisermann, der mit der ganzen Wucht seiner Persönlichkeit dafür sorgt, dass der Text auch tatsächlich im Hier und Heute gut und sicher ankommt: „Ich lese den Text nicht nur, ich empfinde ihn. Ich steige hundertprozentig in dieses Pathos und den Kitsch ein, in diesen theatralischen Moment der großen Gefühle", verspricht er.

Ursprünglich war der Abend mal als einmalige Veranstaltung geplant gewesen, 1999, zur Wiedereröffnung des Lotte-Hauses in Wetzlar, schnell aber wurde er zum Publikumshit. Die jetzige Version versieht Eisermann mit dem Anhängsel „reloaded": „Wir haben nachgeladen, nachgehakt, nachgelegt, besonders zum Thema Selbsttötung, in Zeiten, wo noch immer sehr kontrovers über Suizid und Sterbehilfe, über freiwilliges Verlassen des Lebens diskutiert wird.“ Bevor es aber zum Exitus kommt, wird im Buch erst einmal ausreichend geschwelgt und geschwärmt. Eine Schwärmerei, die einseitig bleibt. „Doch das sieht Werther nicht. Das will er nicht sehen“, erzählt Eisermann. „Er sieht die Dinge nur so, wie er sie haben will, und nicht, wie sie sind. Daran zerbricht er. Daran zerbrechen sehr viele Menschen."
Auch hierin sieht Eisermann Parallelen: „Das Phänomen, dass wir unsere eigenen Sehnsüchte in eine andere Person hineinprojizieren, ist auch mir nicht unbekannt. Das Problem der Menschen mit der Liebe“, zitiert Eisermann frei den Psychoanalytiker Erich Fromm, „ist ja nicht die Liebe an sich, sondern das Problem, geliebt werden zu wollen.“ Eine weit verbreitete Sehnsucht, die André Eisermann weiter durch soziale Medien wie Facebook befeuert sieht, wo man durch einen einzigen Klick auf die „Gefällt mir“-Taste dem anderen das Gefühl vermittelt, gemocht zu werden. „Da werden Bedürfnisse gedeckt, die aber nur kurzweilig Befriedigung verschaffen“, erläutert Eisermann. „Liebe ist in uns selbst, und ‚wenn wir uns selbst fehlen,‘ schreibt Goethe im Werther, ‚dann fehlt uns doch alles.‘“

André Eisermann selbst hat den Höhen, Tiefen und Tücken des Großstadtlebens übrigens den Rücken gekehrt. Vor acht Jahren zog er von Berlin nach Mallorca, wo er heute mit seinem Freund lebt. Seine familiären Wurzeln, die Wurzeln einer alten Schaustellerfamilie, liegen aber hier in Berlin. Seine Großmutter verdiente ihr Geld als „Schlangenfrau“ im Wintergarten Varieté. Noch immer sind viele seiner Familienmitglieder hier in der Stadt und betreiben Strandbars, Oktoberfeste und Weihnachtsmärkte. „Ich habe hier Freunde, mit denen ich gerne um die Häuser ziehe. Berlin ist in Sachen Nachtleben sehr vielschichtig und berühmt für seine Clubs wie Berghain oder KitKat. Ich laufe immer Gefahr, in diesen Party-Strudel hineingezogen zu werden.“ Eskapaden, für die diesmal wohl keine Zeit bleibt. Nach dem Auftritt am 8. April geht es mit dem Werther gleich weiter quer durch Deutschland.

Carsten Bauhaus

„Goethe Werther Eisermann. Die Leiden des jungen Werther – reloaded“ von und mit André Eisermann, 08.04., 20:00, Palais in der Kulturbrauerei

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