Community

Gemeinsam auf dem Teppich bleiben

29. Apr. 2015
© Leadership Berlin

Gestern Abend fand nun doch das bereits zwei Mal abgesagte Treffen zwischen LGBT-Vertretern und Muslimen in der Şehitlik-Moschee statt

– Ohne großes Medienaufgebot – neben SIEGESSÄULE waren nur Tagesspiegel und rbb vor Ort eingeladen – trafen sich am Dienstagabend Vertreter von LGBT-Verbänden mit Gemeindemitgliedern in der Berliner Şehitlik-Moschee. Ungefähr 15 muslimische Männer und Frauen, elf schwule Männer aus der Community sowie einige MedienvertreterInnen diskutierten auf Initiative des Projekts meet2respect zum Themenkreis Islam und Homosexualität. Dass diese Begegnung unter dem Leitmotto des Veranstalters (Leadership Berlin) „begegne dem anderen“ überhaupt zustande kam, ist dem Engagement von Daniel Worat (Vorstand Völklinger Kreis und Leadership Berlin), Bernhard Heider (Geschäftsführer Leadership Berlin/meet2respect) und Ender Çetin, Vorstandsvorsitzenden der Şehitlik-Moscheegemeinde, und dessen Ehefrau Pinar zu verdanken.

Der überschaubare, intime Rahmen dieser Begegnung „ohne Medien-Tamtam“ war bewusst so gewählt geworden, um einen wirklichen Austausch zu ermöglichen, so Worat. Man habe aus vergangenen Erfahrungen gelernt. Eigentlich sollte die Begegnung zwischen Community und Muslimen bereits im vergangenen November in der Moschee stattfinden. Dazu war es jedoch nicht gekommen: Die angemeldete Teilnehmerzahl mit über 200 Personen und großem Medienaufgebot ließen die Erwartungen in die Höhe schießen. Der Druck im Vorfeld auf die muslimische Şehitlik-Gemeinde, auch durch die teils negative Berichterstattung in türkischen Medien, war schließlich zu groß geworden. Der Moscheebesuch wurde nach mehrtägigem Beraten abgesagt und die Diskussion kurzerhand in das Tagungshaus Jerusalemkirche umgelegt. SIEGESSÄULE.DE berichtete. Auch der damals in die Organisation involvierte LSVD, der gestern nicht dabei war, hatte nach Ansicht Heiders einen „konfrontativen Kurs“ gefahren. „Alles ein bisschen unglücklich gelaufen“, fasste er die Vorgeschichte in seinen einführenden Worten zusammen.

Nach der Begrüßung in der Moschee durch Heider, Worat und Pinar Çetin, führte letztere ausführlich in die Geschichte der Şehitlik-Moscheegemeinde und die sechs Glaubenswahrheiten des Islams ein. Unmittelbar daraus entspann sich eine längere Diskussion, bei der es nicht darum ging nur bloße „Toleranz“-Floskeln auszutauschen. 

„Erstmal interessiert uns nicht, ob ein Mensch jetzt schwul oder lesbisch, sondern wie er als Mensch ist“, so Pinar Çetin, „aber wenn alle das jetzt so einfach und offen total akzeptieren sollen, dann ist das schon auch schwer.“ An anderer Stelle betonte Ender Çetin ganz klar: „Wir sind nicht die Liberalen, als die uns die Medien oft beschreiben. Im weiten muslimischen Spektrum von konservativ bis liberal teilen wir die konservative Mehrheitsmeinung, die wir so auch den Jugendlichen weitergeben.“ Demnach sei homosexuelles Handeln durchaus eine „Sünde“, allerdings eine „Privatsünde“, über die weder er noch andere Muslime, noch sonst eine weltliche Instanz zu urteilen habe. Zugleich zeichnen er und die muslimischen TeilnehmerInnen in Schilderungen aus dem Moscheealltag ein komplexeres Bild – und gelebten Respekt vor dem Einzelnen als Teil der Gemeinschaft. „Natürlich wissen wir auch in unserer Gemeinde von Menschen, die homosexuell und trotzdem Teil dieser Gemeinde sind“, sagte Çetin, der sich im Rahmen von meet2respect an Berliner Schulen gegen Berührungsängste mit dem Thema Homosexualität engagiert. Darüber hinaus nannte er als Beispiel eine trans*Frau, „die hier mittwochs ganz normal an den Treffen der Frauengruppe“ teilnehme, weil sie sich als Frau fühle und dafür entschieden habe. Auch der lockere Umgang Çetins mit den Teilnehmern aus der Community gestern verdeutlichte den Widerspruch zwischen strikten Glaubensvorstellungen und gesellschaftlichen Lebensrealitäten. Den strengen Vorschriften steht die Begegnung mit konkreten Menschen gegenüber.

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Im Verlauf der Diskussion wurde auch die moralphilosophische Unterscheidung von Homosexuell-Sein einerseits und einem sündhaften homosexuellen Handeln andererseits bemüht. Eine Stelle, an der manche erstmal schlucken mussten. So befremdlich diese strenge Anschauung scheinen mag, so bekannt ist sie aus fast wortgleichen Argumentationsmustern katholischer und evangelischer Diskussionsrunden zum Thema. Die zunehmende Homophobie wie Islamfeindlichkeit wurden gleichermaßen als ernsthafte gesellschaftliche Probleme anerkannt. Auch die Community muss sich mit Ablehnung in den eigenen Reihen beim Umgang mit „den muslimischen Anderen“ auseinandersetzen, wie ein LGBT-Vertreter sagte.

Festzuhalten bleibt nach einem spannenden Abend, an dem auch viel gescherzt und gelacht wurde: Es gibt keine allzu großen Hürden in der Verständigung – wenn beide Seiten die Unterschiede in den Auffassungen und Lebenskonzepten nicht leugnen, sondern gemeinsam auf dem sprichtwörtlichen (Moschee-)Teppich bleiben, auch was ihre Erwartungen an eine gegenseitige, vollständige Akzeptanz ihrer Lebensweisen angeht. Trotz unterschiedlicher Perspektiven auf sexuelle, weltliche und religiöse Orientierungen ist diese offenbar nur in kleinen Schritten zu erlangen. Das kann dann auch mal so klingen: „Ich betrachte Sie überhaupt nicht als Sünder, wenn ich mich mit Ihnen unterhalte“, wie eine Teilnehmerin beim abschließenden gemeinsamen Abendessen im Gästesaal der Moschee ihrem schwulen Gesprächspartner mitteilte. Auf den ersten Blick ein sicherlich holpriges Statement, doch der Anfang ist getan. Weitere Begegnungen, ebenfalls im kleinen Rahmen, sollen in nächster Zeit folgen, wie Bernhard Heider von meet2respect ankündigte.

Melanie Götz

Leadership Berlin (Projekt meet2respect) 

Völklinger Kreis (Bundesverband schwuler Führungskräfte)

Şehitlik Moschee

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