BEWEGUNGSMELDER

Der unverheiratete Bigamist

17. Mai 2015
(c) Tanja Schnitzler

Manche Diskriminierungen sind so absurd, die lassen sich nur noch als Satire beschreiben. – In memoriam Ephraim Kishon – Die Kolumne von Dirk Ludigs

Ich saß wie jeden Nachmittag auf dem Tuntenboulevard vorm Café Rufmord, rührte in meinem Espresso Macchiato und schaute versonnen dem Gluteus Maximus des frisch eingetroffenen Kellners hinterher. Da setzte sich mit einem tiefen Schnaufer mein Freund Jossele neben mich. Jossele ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und seit 13 Jahren verheiratet mit Jeff Slyker, dem bekanntlich besten Ehemann von allen, einem überaus stattlichen und noch weitaus erfolgreicheren Amerikaner. Doch von dem Erfolg der beiden war an diesem Nachmittag nichts zu spüren. Nervös fingerte Jossele eine American Spirit nach der anderen aus seinem knittrigen und fleckigen Jackett, seine glasigen Augen blickten panisch hin und her, als fürchtete er von mehreren Geheimdiensten gleichzeitig verfolgt zu werden.

„Jossele, mein Freund!“ sagte ich, „Was ist los, ich erkenne dich ja gar nicht wieder!“ „Es ist eine Tragödie!“ rief Jossele aus, „Jeffs Vater wird zum Pflegefall und wir müssen dringend nach Kalifornien umziehen!“ Da ich mir Schlimmeres vorstellen kann, als ein Leben unter der heißen Sonne und freundlichen Menschen zu verbringen, beugte ich mich zu ihm hinüber und fragte: „Und? Das sollte doch kein Problem sein, ihr seid doch verheiratet!“

„Sind wir eben nicht!“ sagte Jossele, zündete sich eine weitere Zigarette an und schaltete vorsichtshalber sein Handy aus. „Es gibt keine Homo-Ehe in Deutschland. Wir sind verpartnert. Und das erkennen die Amerikaner natürlich nicht an.“ Sein bester Ehemann von allen, der also gar keiner ist, hatte das auf dem Konsulat herausgefunden. „Die Dame war sehr nett und sagte: „Aber das macht doch nichts, heiraten Sie doch einfach in Kalifornien!“

„Na siehste, Jossele, wo ist also das Problem?“, fragte ich. „Das Problem ist, so einfach geht das alles nicht. Man kann nicht einfach so einreisen, heiraten und da bleiben. Wir müssten dort heiraten, zurückkommen und warten bis wir ein Einreise-Visum für mich bekommen. Bis dahin kann Jeffs Vater schon tot sein. Oder Jeff könnte ein Verlobten-Visum für mich beantragen, aber dafür müsste er schon in den USA leben, tut er aber nicht.“ Er drückte mit der linken seine Zigarette in den Aschenbecher, während er mit der rechten nach der nächsten fummelte.

„Warum heiratet ihr dann nicht in einem zivilisierten europäischen Land, Spanien oder Dänemark?“ fragte ich naiv. „Das war natürlich unser nächster Gedanke, wir nahmen Kontakt auf mit Madrid, Lissabon, Paris, London, Kopenhagen, Luxemburg, Den Haag, Brüssel, Oslo und Stockholm. Die Antwort war immer die gleiche: „Natürlich können sie sofort bei uns heiraten, aber dafür müssen sie vorher ihre Lebenspartnerschaft auflösen. In Josseles Blick lag ein Anflug von Wahnsinn. „Also haben wir Rechtsanwalt Dr. Hagen angerufen.“

Dr. Hagen ist ein berühmter Anwalt, der seit Jahren jedes kleine Scheibchen Fortschritt in Sachen Lebenspartnerschaft vor den Gerichten erkämpft hat. Wenn Dr. Hagen nicht weiß, was in so einem Fall zu tun ist, dann weiß es keiner. „Dr. Hagen sagte, er habe absolut keine Ahnung, was man in so einem Fall tun könne!“, stöhnte Jossele und bestellte bei dem frisch eingetroffenen Kellner einen doppelten Cognac, „Nur eines sei todsicher, wenn er es nicht wisse, dann gäbe es in ganz Deutschland keinen, der es weiß.“ Jossele zündete sich eine weitere Zigarette an und seine Augen begannen, sich zu weiten. Es war klar, er war dabei seinen Verstand zu verlieren. „Dr. Hagen“, raunte er, „riet auch von einer Heirat in den USA dringend ab. Denn wenn Lebenspartner andernorts heiraten, dann verstoßen sie in Deutschland gegen den Rechtsgrundsatz, dass man nicht gleichzeitig verheiratet und verpartnert sein darf und die Lebenspartnerschaft samt dem besten Ehegatten-Splitting von allen wird hinfällig. Auf keinen Fall dürfe das deutsche Finanzamt irgendetwas von der Hochzeit erfahren.“

Jossele versicherte sich noch einmal, dass sein Handy wirklich die ganze Zeit ausgeschaltet war, dann lachte er hysterisch. „Für die Amerikaner sind wir unverheiratet, und wenn wir heiraten, dann sind wir in Deutschland Bigamisten mit uns selbst. Das ist doch irre, oder?“ Er stürzte den Cognac, rannte mit einem Seufzer davon und überließ mir die Rechnung.

Gestern traf ich Jossele im Café Rufmord wieder. Sein Scheitel blitzte, das Jackett war frisch gebügelt. Er rührte in seinem Espresso Macchiato. „Jossele!“ rief ich aus, „haben du und dein bester Nicht-Ehemann von allen das Problem lösen können?“ „Wir nicht“ sagte Jossele und schaute dem frisch eingetroffenen Kellner auf den Gluteus Maximus, „aber Jeffs Vater! Der ist nämlich letzte Woche verstorben.“

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