Bühne

Krieg gegen unsere Körper

26. Mai 2015
© Thomas Aurin

Christoph Klimke ist ein Solitär unter den deutschen Autoren der mittleren Generation: virtuos bewegt er sich zwischen Belletristik, Essay, Theater und Lyrik. Er gilt als ein hervorragender Pasolini-Kenner: 1985 debütierte er mit dem ersten von drei Büchern über Pasolini, und im Herbst erscheint ein neuer biographischer Essay: „Dem Skandal ins Auge sehen. Pier Paolo Pasolini“

Mit dem Theaterregisseur Johann Kresnik arbeitet Klimke seit 1996 zusammen: Beide haben ein quasi symbiotisch intellektuelles Verhältnis zu Pasolini, und man darf einen fulminanten Theaterabend erwarten, wenn sie – basierend auf Pasolinis Skandalfilm und dem Roman von de Sade – am 27. Mai an der Berliner Volksbühne „Die 120 Tage von Sodom“ zur Aufführung bringen. SIEGESSÄULE hat mit Christoph Klimke gesprochen.

Worum wird es in dem Theaterstück gehen? Im Film ging es ja um den politischen Faschismus und um das Verhältnis von Macht und Sexualität, im Stück geht es um einen anderen, wesentlichen Aspekt von Pasolinis System- und Machtkritik: um den globalen Konsumfaschismus, um die neokapitalistische Realität und deren Gleichschaltung der Menschen und ihrer Bedürfnisse durch die Macht des Konsumterrors.

Ist das Stück auch eine Kritik an der Massenkultur? Ja, da die ordinäre Massenkultur, die Vulgärkultur jede Form von Loyalität und Solidarität mit den Füßen tritt und allein auf den Gesetzen des Marktes basiert, auf Arroganz und Macht. Da war Pasolini wie bei vielen anderen Dingen wirklich visionär. Wer der Firma nichts bringt, wird ausgesondert: Alte, Kranke, Behinderte, Asylsuchende, Andersdenkende. Immerhin gibt es auch eine Gegenbewegung, die allerdings noch viel zu schwach ist. Und relativ chancenlos.

Kresnik ist ja der große Vertreter des Choreographischen Theaters und war schon immer an Grenzerfahrungen interessiert, an Menschen unter dem Einfluss von bestimmten politischen und gesellschaftlichen Mächten ... Ja, während mich bei Pasolini eher das Prinzip der Widersprüchlichkeit fasziniert.

Der Film war ja - und ist heute noch - ein Skandal mit seinen Themen Sexualität und Macht, Erniedrigung, seelische Zerstörung, Vergewaltigung, Folter und Mord. Wie kann man das auf die Bühne bringen? Da muss man natürlich anders arbeiten. Schließlich sehen wir täglich eine Unmenge einschlägiger Bilder, denken wir nur an Abu Ghraib und die Foltermethoden der CIA. Und gerade das Berliner Publikum ist ja da am Theater einiges gewöhnt.

Wie war Pasolinis Verhältnis zum Theater? Er war interessiert und skizzierte selbst sechs Theatertexte. Er sah das Theater als Protest gegen die Massenkultur, da es als einziges aller Massenmedien nicht serienmäßig reproduziert werden kann. Er wandte sich dann aber vom Theater ab, da er der Ansicht war, dass man sich dieser Kunstform entweder ganz widmen oder insgesamt auf sie verzichten müsse.

Pasolini sagte einmal zum Ende hin: "Die Welt will mich nicht mehr und weiß es nicht." Er ist aber präsenter denn je, die Filme, Bücher und Ausstellungen nehmen kein Ende ... Er zwingt dazu, Stellung zu beziehen. Er bietet durch seinen Einspruch gegen den Weltlauf Reibung. Hochaktuell sind seine Themen Ökologie, Dritte Welt und der Körper als Passionsort, als etwas Persönliches und Privates, das wir zu besitzen glauben, der aber sehr, sehr politisch ist. Das ist ja in den letzten Jahrzehnten ein zentrales Thema der Kunst überhaupt - der Krieg, den wir gegen unsere Körper und Seelen führen, der Krieg, zu dem auch unser Liebesleben geworden ist.

Interview: Egbert Hörmann

Die 120 Tage von Sodom, 27.05. (Premiere), 30.05., 02.06., 06.06., 21.06., 19:30, Volksbühne

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