BEWEGUNGSMELDER

Der Schwulenhass in unseren Betten

14. Juni 2015
Dirk Ludigs (c) Tanja Schnitzler

Dirk Ludigs über Prävention aus der Mottenkiste und die Notwendigkeit, auch in Deutschland den Umgang mit der PrEP-Therapie zu überdenken

–  Wer auf die „Ehe für alle“ schaut, stellt fest: Deutschland verliert in  LSBTI-Angelegenheiten den Anschluss an die Spitzengruppe der westlichen Welt. Es lohnt sich aber auch der Blick auf schwulen Sex. Genauer gesagt, auf das, was wir noch immer für Safer Sex halten: Beim Ficken Kondome, beim Blasen raus bevor’s kommt.

Seit Jahrzehnten gilt: Sex mit Kondom, das ist der gute, der angstfreie, der sichere Sex. Politisch korrektes Ficken. Sex ohne Gummi, in den Zeiten vor Aids der Normalfall, das ist Barebacking, mutmaßlich risikobehaftet und ein bisschen asozial und genau deshalb für manche rebellenhaft und wild, ins Fetischhafte überhöht.

Seit 2008 ist diese Weisheit allenfalls noch Sex von gestern. Seitdem wissen wir aus vielen Studien: HIV-Positive unter Therapie mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze können spätestens nach sechs Monaten das Virus nicht mehr übertragen. Und seit 2012 sind die Daten zur vorsorglichen Einnahme des HIV-Medikaments Truvada durch HIV-Negative, um das Übertragungsrisiko zu senken, so gesichert, dass die US-Gesundheitsbehörde FDA den Hersteller Gilead förmlich gegen dessen Willen drängte, eine Freigabe des Präparats für die Prävention zu beantragen und die dann auch prompt erteilte. Seither zahlen in den USA selbst einige Krankenkassen für die Vorsorge-Pille.

Die neuesten europäischen Studien bestätigen nicht nur, was in den USA schon old news ist: Prä-Expositions-Prophylaxe funktioniert so gut wie Gummis. Sie zeigen vor allem, dass die PreP aus medizinischen und wirtschaftlichen Gründen geboten ist. In der überschaubar kleinen Gruppe von promisken Männern, die aus verschiedensten Gründen keine oder selten Kondome verwenden, ist die Infektionsrate mit HIV so immens hoch, dass man die Placebo-Empfänger in der Ypergay-Studie ein Jahr früher als geplant mit dem echten Medikament versorgte. Ihnen den Schutz durch Truvada weiter vorzuenthalten war ethisch einfach nicht mehr vertretbar.

Lang leben die Klischees, lang leben die Zerrbilder, auch auf Kosten der Gesundheit jener, die man zu schützen vorgibt!

Das gilt natürlich nicht nur für jene Schwule, die an wissenschaftlichen Studien teilnehmen. Die Aids-Hilfen scharren mit den Füßen, sie würden die frohe Botschaft gerne nach draußen geben. Auch weil sie wissen, dass der Schwarzhandel mit dem Medikament längst losgeht, dass die strikten Regeln, an die man sich bei der PreP halten muss – regelmäßige Tests, korrekte Einnahme, damit sich keine Resistenzen bilden –, ohne die Freigabe nicht kommunizierbar sind.

Aber die Aids-Hilfen sind finanziell abhängig von der Gesundheitspolitik und mehr noch von den staatlichen Sexkontrolleuren der Bundeszentale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Und die blockieren mit den immer gleichen, homophoben Argumenten: Mit Truvada mache man sich die erfolgreichen jahrzehntelangen Bemühungen kaputt, den Schwulen das Gummi überzuziehen. Mit Truvada werde es zu einer wilden, sorglosen Fickerei kommen, denn so sei er nun mal, der schwule Mann. Lang leben die Klischees, lang leben die Zerrbilder, auch auf Kosten der Gesundheit jener, die man zu schützen vorgibt! Wissenschaft versus Bauchgefühl. Das kommt einem ja aus einer anderen Debatte schon bekannt vor,

Dabei würde ein Blick in die USA genügen, um zu sehen, dass die homophoben Klischees mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Keines der deutschen Bedenken hat sich dort bewahrheitet, im Gegenteil: Wer die PreP hat, greift sogar häufiger zum Kondom als vorher,  zum Beispiel, weil er sehr genau weiß, dass die Pille nicht vor anderen sexuell-übertragbaren Infektionen schützt. Wo aus Zwang Wahlfreiheit wird, agieren Menschen rationaler.

Diese Freiheit, glaubt die deutsche Politik, ist uns aber nicht zuzumuten. Dabei hätte eine Prävention auf dem Stand der Wissenschaft auch für die Community eine heilende Wirkung. Die Mauer, die schwule Männer seit Jahrzehnten in Negative und Positive trennt, würde endlich fallen.

Die Idee, schwuler Sex sei nur mit Gummi guter Sex, ist in der Essenz homophob. Sie ist Prävention aus der Mottenkiste. Sie gefährdet die Gesundheit von Menschen. Es ist überfällig, mehr noch: aus ethischen Gründen verpflichtend, Truvada jetzt endlich auch in Deutschland für die Prävention verfügbar zu machen.

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