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„Können wir frei sein, wenn andere unfrei sind?"

22. Juni 2015
Die Regisseure Nils Bökamp (li.) und Benjamin Cantu (re.) © Alexander Gheorghiu

23.06 - In der Doku „Weil ich bin wer ich bin - Kunst und Homosexualität“ werden sieben internationale KünstlerInnen präsentiert, die erzählen, wie ihre sexuelle Identität und die von ihnen erlebte Diskriminierung von LGBTIs Einfluss auf ihre künstlerische Arbeit hat. SIEGESSÄULE sprach mit Regisseur und ELSE-Gewinner Benjamin Cantu, der den Film zusammen mit Nils Bökamp realisierte.

Bekannt geworden bist du auf der Berlinale 2011 mit dem Else-Gewinner „Stadt, Land, Fluss“, ein Film, der sehr lokal verortet war, nämlich in der Brandenburger Provinz. Jetzt bist du für „Weil ich bin wer ich bin“ durch die ganze Welt gejettet. Wie kam es dazu? Arte ist auf mich zugekommen, weil sie im Kontext der Ausstellung „Homosexualität_en“ eine passende Dokumentation planten. Ich und Nils Bökamp haben dann beschlossen, das Thema global anzugehen, da die Welt heute immer mehr verknüpft ist. Die Standards und Machtmechanismen in verschiedenen Ländern bedingen sich heute gegenseitig. Bestes Beispiel ist Russland, wo neue Gesetze und neue Politik hauptsächlich dazu dienen, sich kulturell von liberaleren westlichen Ländern abzugrenzen.

Neben russischen Filmemachern hast du unter anderen Künstler und Künstlerinnen aus dem Libanon, Marokko, Israel und Nigeria portraitiert. Welcher Beitrag hat sich persönlich am tiefsten berührt? Alle Porträtierten haben mich nicht nur mit ihrer Arbeit sondern auch mit ihrer Persönlichkeit sehr beeindruckt. Aber die südafrikanische Tänzerin Mamela Nyamza besonders: Sie schafft in ihren Choreografien starke Bilder, die nicht nur tiefe eingeschriebene eigene Erinnerungen in mir wachrufen, sondern mit denen man sich auch universell menschlich verbinden kann. Seitdem ich sie tanzen gesehen habe, bin ich fest überzeugt, dass Kunst ein viel kraftvolleres Mittel gegen Diskriminierung und Gewalt sein kann, als man sich das allgemeinhin vorstellt.

Neben den Künstlern und Künstlerinnen, die mit der LGBTI-Situation in ihren Ländern stark zu kämpfen haben, fällt Dustin Lance Black, dessen Drehbuch für „Milk“ mit dem Oscar prämiert wurde, etwas aus den Rahmen. Hast du ihn deshalb an das Ende gestellt, als eine Art Botschaft der Hoffnung? Ja, die Zuschauer sollen quasi bei der Stange bleiben. Fernsehen funktioniert ja etwas anders als Kunst oder Literatur. Wir halten außerdem sehr viel von Dustin Lance Black als Aktivisten. Er soll als eine Art Einladung verstanden sein, das Potential des Positiven zu sehen. Und aus der Geschichte, in diesem Fall aus den Erfolgen der LGBT-Bewegung der USA, zu lernen.

Im Film werden verschiedene Modelle angesprochen: Kunst als Protest, Kunst als Impulsgeber für gesellschaftlichen Wandel, Kunst als Therapie. Welchen Ansatz verfolgst du bei deiner eigenen Arbeit? Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass meine Filme einen ähnlichen Protest darstellen wie die Arbeiten der porträtierten Künstler. Protest funktioniert in der Kunst nur, wenn sie von eigenen Erfahrungen ausgeht, gegen die man sich auflehnt. Ich bin selber sehr privilegiert in einer sehr liberalen Umgebung aufgewachsen. Meine Kunst ist für mich eher ein Mittel, mir die Welt verständlicher zu machen — eine Welt, die oft sehr schwer zu verstehen ist. Deswegen versuche ich auch mit jedem Film, persönliches Neuland zu betreten.

Der Film wird am 24.06. ausgestrahlt, am Tag der Eröffnung der Ausstellung Homosexualität_en. Inwieweit geht das über einen rein zeitlichen Zusammenhang hinaus? Wir haben in der Vorbereitung der Dokumentation mit den Kuratoren der Ausstellung zusammengearbeitet. Insbesondere Birgit Bosold und Klaus Müller haben uns sehr geholfen, den richtigen Zugang zu einer globalen Perspektive zu finden.

Wie hat das Projekt deinen eigenen Blick auf die Dinge verändert? Meine Sensibilität für globale Zusammenhänge ist gewachsen, und auch meine Fähigkeit, die Welt als einen zusammenhängenden, im Spezifischen aber auch sehr unterschiedlichen Ort zu sehen. Freiheit macht nur Sinn, wenn wir sie nicht nur für uns, sondern für alle beanspruchen. Oder wie Mojisola Adebayo im Film sagt: „Können wir wirklich frei sein, wenn andere unfrei sind?“ Das ist eine Frage, die wir uns alle stellen sollten.

Interview: Carsten Bauhaus

„Weil ich bin wer ich bin - Kunst und Homosexualität“, 24.06., 21:40, ARTE

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