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„Ich habe Angst“

6. Juli 2015
Die Trans*-Aktivistin Ebru Kırancı beim Berliner CSD 2015 © Brigitte Dummer

Die türkische Aktivistin Ebru Kırancı spricht im SIEGESSÄULE-Interview über die Situation von Trans*menschen in der Türkei. Für ihre Arbeit erhielt sie beim CSD den „Soul of Stonewall Award“

Die türkische Transaktivistin und Vorsitzende des Trans-Vereins „Istanbul LGBTT“, Ebru Kırancı, ist in diesem Jahr Trägerin des Soul of Stonewall Award (Kategorie Widerstand), verliehen durch den CSD e.V. in Kooperation mit Queer Amnesty und Maneo. Trotz des brutalen Polizei-Übergriffs auf die Istanbul Pride in diesem Jahr sagt Ebru im Gespräch mit SIEGESSAEULE.DE: „Ich sehe eine positive Entwicklung.“

Wie schätzt du die Lage für Trans-Menschen in der Türkei aktuell ein? Die Situation ist von staatlicher Seite aus nicht gut, aber auch sonst sind Trans-Menschen kaum akzeptiert. Das führt dazu, dass es für Trans* keine andere Arbeit gibt außer der Sex-Arbeit. Nur vereinzelt arbeiten manche ab und an als Lehrerinnen. Auch eine Wohnung zu mieten ist für uns kaum möglich.

Du hast ein Trans-Gästehaus gegründet. Wie schwierig war es, überhaupt eine Immobilie zu finden? Wir sind erst einmal zu vielen Maklern gegangen, was aber nicht einfach war, weil Trans* immer auch mit Sexarbeit assoziiert wird und viele glaubten, dass wir dafür ein Haus suchen. Letztendlich hat uns dann ein christlicher, syrischer Makler ein Haus vermittelt, das wiederum einem Juden gehört. Eine sehr gute Kombination. 

Wer kommt dort hin? Priorität haben auf jeden Fall Trans-Menschen, die meistens schon über 40 und obdachlos sind. Aber: Wir haben dem Ganzen etwas mehr Spielraum gegeben, weil sich auch viele Schwule beworben haben, die wir ebenfalls aufnehmen. Die Anfragen werden aber immer mehr, gerade auch durch queere Kriegsflüchtlinge.

Wie finanziert sich das Haus? Am Anfang haben wir Geld von türkischen feministischen und queeren Organisationen und private Spenden bekommen. Dazu haben wir Soli-Partys oder zum Beispiel eine große Modenschau organisiert. Mit dem Erlös konnten wir dann sogar ein zweites Haus anmieten, was auch dringend notwendig war. Beide Häuser tragen Namen von Trans-Freundinnen. Eine wurde in ihrem Haus ermordet, die andere hat sich von der Bosporus-Brücke gestürzt. 

Du bist darüber hinaus Vorsitzende des Trans-Vereins „Istanbul LGBTT“. Was macht ihr? Wir haben nur ein kleines Zimmer, aber das ist dafür – leider – fast immer voll. Denn fast jede zweite Nacht gibt es einen gewalttätigen Übergriff auf Trans* und die kommen dann oft zu uns. Wir vermitteln sie dann zu einer befreundeten Anwältin und unterstützen sie beim weiteren gerichtlichen Vorgehen. Wir organisieren außerdem Kundgebungen vor den Polizeiwachen, denn die sind ja Teil der diskriminierenden Struktur. Oft wird bei einem Mord an einer Trans-Frau nämlich nicht so genau hingeguckt. Bei uns kann man sich aber auch zu Gesundheitsthemen wie HIV beraten lassen oder erfahren, welche unterschiedlichen Operationsmöglichkeiten es gibt, welche Ärzte gut sind etc.

Während du in Berlin warst, wurde der Istanbuler CSD durch die Polizei attackiert … Schon letztes Jahr beim Trans-Pride, den ich organisiere, hat die Polizei mit Panzern und Wasserwerfern die „Grenze“ zum Taksim-Platz gesichert, weil sie Angst haben, dass sich die Proteste wieder auf den daneben liegenden Gezi-Park ausweiten könnten. An dem brutalen Übergriff auf den Gay Pride in diesem Jahr sieht man aber, dass es nicht nur um Trans-Menschen geht. Die Polizei behandelt auch alle anderen Queers schlecht. Bei der Auflösung der Pride wurde z.B. bei einer Trans-Freundin das Bein durch ein Gummi-Geschoss verletzt. Einen Tag später kam die Polizei dann zu den Wohnungen vieler Trans* und hat sie in U-Haft genommen.

[Richtigstellung vom 21.07.: Ebru Kırancı möchte diese Antwort korrigieren und darauf hinweisen, dass sie den Trans*Pride nicht alleine, sondern gemeinsam mit Istanbul LGBTT organisiert hat. Außerdem ist es der Trans* Aktivistin wichtig zu betonen, dass der Angriff auf die Gay Pride 2015 vor dem Hintergrund der neu in Kraft getretenen Gesetzgebung zur Inneren Sicherheit zu bewerten ist. Dieses Gesetz räumt der Polizei weitreichende Befugnisse ein und führte z. B. dazu, dass noch am selben Abend des CSD Trans*Freundinnen von Ebru Kırancı unter dem Vorwand, sie hätten am CSD teilgenommen, von der Straße weg in Untersuchungshaft genommen wurden.]

Warum nur Trans*? Die Polizei macht das, weil sie dafür Punkte erhält. Polizisten in Istanbul werden immer „belohnt“, wobei die Punkte-Anzahl vom Ausmaß der Tat abhängt. Ganz oben stehen Terroristen, aber Trans-Menschen bringen auch einiges ein.

Wie geht es dir selbst damit, unter diesen Bedingungen zu leben? Ich habe Angst. Allerdings hatte ich bis zu den letzten Parlamentswahlen im Juni noch mehr Angst. Jetzt hat Erdogans AKP zumindest etwas weniger Stimmen bekommen, und die linke, minderheiten-freundliche HDP hat die Zehn-Prozent-Hürde überschritten. Das beruhigt mich und kann als kleiner Wendepunkt gesehen werden.

Erstmals gibt es mit Sedef Cakmak eine gewählte lesbische Politikerin, die einen Sitz im Istanbul Bezirk Besiktas hat. Ein Teil des „Wendepunkts“? Ja, auf jeden Fall! Und ich merke auch Unterstützung. Die großen LGBT-Fahnen für den Pride hat z.B. Sedef Cakmaks Bezirk bezahlt. Dazu gibt es außerdem noch zwei schwule Politiker in Istanbul. Ich sehe darin eine sehr positive Entwicklung, die uns zeigt, dass wir nicht alleine und isoliert bleiben. Aber: Es gibt bei den Parteien immer noch starke Vorbehalte gegen Trans*-Kandidaten. Die zivilgesellschaftlich ausgerichteten Parteien können sich dem nicht mehr länger entziehen.

Interview: Daniel Segal

Dolmetscherin: Maria Binder. In „Trans X Istanbul“ hat die Filmemacherin die Gründung des Trans-Gästehauses begleitet.

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