Musik/Community

Berlins queeres Woodstock

28. Juli 2015
© J. Jackie Baier

„Three days of peace, love and music“ gehört wohl zu den eher abgegriffenen Formulierungen der Popgeschichte. Doch könnte man das dreitägige „Yo! Sissy“-Festival, das vom 24. bis zum 26.07. im SchwuZ, in der Neuen Heimat und im SO36 stattfand, kaum besser fassen, als mit diesem Woodstock-Slogan. Und das obwohl weniger Gäste kamen als erwartet.

Schon der Eröffnungsabend am Freitag im SchwuZ machte deutlich, mit wie viel Liebe und Hingabe sich die VeranstalterInnen Pansy und Scout – unterstützt von einem Heer aus Freiwilligen – ihrem Traum von einem queeren Musikfest verschrieben hatten. Das aufwändig dekorierte SchwuZ glimmerte in der Dunkelheit wie eine LSD-Fantasie, aufgedonnerte Gäste, MusikerInnen und DJs verschwammen zu einer einzigen familiären Gemeinschaft. Auch, wenn der Sound bei Acts wie den Hidden Cameras, die gemeinsam mit dem Pet-Shop-Bears-Chor auftraten, oder JD Samson, der kurz nach dem Soundcheck in einem Restaurant noch der Pass geklaut worden war, hier und da zu wünschen übrig ließ, wurden die KünstlerInnen auf der Bühne von den Gästen doch frenetisch gefeiert. Besonderes Highlight an diesem Abend war mit Sicherheit die großartig choreographierte Dragshow von Familyyy Fierce und Pansy’s Girls, die eindrücklich unter Beweis stellte, dass Drag auf einem hohen internationalen Level durchaus aufregend und subversiv sein kann.

Der Samstag in der Neuen Heimat litt ein wenig unter dem windigen Wetter, das die Gäste des Gartenareals, die großartige DJ-Sets (besonders geil: Mauro Feola) zu hören bekamen, schließlich doch in die Innenräume der Neuen Heimat trieb. Im wunderschönen, mit einem Glasdach versehenen „Birdcage“ herrschte bei Konzerten von Dievondavon, Hyenaz, Rodeo, Black Cracker u. a. eine gechillte Atmosphäre, auch hier stellte sich wie bereits im SchwuZ am Abend zuvor ein familiäres Zusammengehörigkeitsgefühl ein, wie man es auf Events in Berlin sonst eher selten finden kann. Highlight auf der Mainstage war für viele Gäste am Samstag neben Cakes Da Killa vor allem die 90er-Pop-House-Queen Crystal Waters, deren Auftritt dementsprechend auch frenetisch gefeiert wurde. Nach ihren beiden Hits („Gypsy Woman“ und „100 % Pure Love“) kippte die Show mit zwei Tänzern im Eurodance-Stil allerdings schnell in die Chartshow-Trashecke. Geschmackssache.

Das Finale am Sonntag im SO36 kam zunächst etwas langsam und mit leichter Verspätung in Gang, was bei diesem Partymarathon allerdings nicht weiter wunderte. Spätestens ab dem wie immer furiosen Auftritt von Discobabe Alexander Geist, der gegen kurz vor 23 Uhr die Bühne betrat, kam das Publikum allerdings in Gang. Das Haus war gut gefüllt, die Stimmung beim „Yo! Sissy“-Team und seinen Gästen ausgelassen wie am ersten Tag. Auch hier bestimmten aufwändige Make-ups und Outfits das Bild und erzeugten einmal mehr das Gefühl einer Gegengesellschaft, einer Community, in der alle queeren Freaks und Fraggles gemeinsam feiern. Ein Effekt, den die CSDs dieser Stadt nicht immer hinbekommen. Das Line-up wurde an diesem Abend von den Berliner Lokalheroines Evvol sowie den sehnlichst erwarteten Christeene und Peaches abgerundet und eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Die große Mehrheit der Menschen, die sich an diesem Wochenende auf den Weg zum „Yo! Sissy“-Festival gemacht haben, wird danach mit einem breiten Grinsen ins Bett gefallen sein. Vielen Dank also an Pansy, Scout und das ganze Team. Hoffentlich bis zum nächsten Jahr.

Bilder vom Festival gibt es hier

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