MUSIK

Grenzenlos

20. Aug. 2015
Das Wunderkind Shamir (c) Beats International

Der 20-jährige Musiker Shamir mixt die unterschiedlichsten Styles und besticht durch seine außergewöhnlich hohe Stimme. Wir trafen den schüchternen Künstler zum Gespräch

20.08. – Shamir, deine Mutter hat angeblich deinen Erfolg in ihren Tarotkarten vorausgesehen ... Ja, das stimmt. Sie ist ein bisschen esoterisch drauf. Ich will mich aber gar nicht mit diesem Kram beschäftigen. Sie macht das schon ewig, und ich denke, sie weiß vieles.

Dein musikalischer Background ist sehr vielfältig. Du kamst von Country über Punk, No Wave und Noise Rock schließlich zu House. Ich bin ein sehr melodieverliebter Mensch. Eine Melodie funktioniert genreübergreifend. Ein Genre ist also nur eine Art Werkzeug, das man wählt, um seine Songs zu machen. Mein Musikgeschmack ist deshalb auch extrem vielfältig. Ich bin einer der wenigen Menschen, die GG Allin (US-Punkmusiker; Amn. d. Red.), Jonas Brothers, The Slits und Taylor Swift in eine Playlist packen.

Viele deiner Songs sind dem Genre House zuzurechnen. Du selber wusstest das vorher gar nicht, dein jetziger Koproduzent, Nick Sylvester, klärte dich darüber auf. Hast du dich dann mehr mit dem Genre auseinandergesetzt? Bloß, weil sich meine Musik so anhört, würde ich nicht behaupten, dass ich eine Ahnung von House habe. Mich jetzt mit der Geschichte dieser Musik zu befassen und mich in die kulturelle Tradition einzuordnen wäre eine Lüge. Ich finde es immer komisch, wenn Leute versuchen, Musikgenres an bestimmte Typen von Menschen zu koppeln. So was schränkt viel zu sehr ein. Die Menschen sollten begreifen, dass Musik eine gemeinsam geteilte Erfahrung ist. Klar können bestimmte Strömungen aus bestimmten kulturellen Zusammenhängen kommen, aber unsere Aufgabe ist es, sie zu verbreiten und dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr nur dieser bestimmten Kultur, sondern allen gehören.

Du wurdest in der Vergangenheit oft wegen deiner ungewöhnlich hohen Stimme gehänselt. Hat dich das offener gegenüber Menschen gemacht, die nicht in heteronormative Strukturen passen? Ja. Ich habe mein ganzes Leben lang nie irgendwo reingepasst, stach immer heraus. Wenn man von einem so jungen Alter an damit umgehen muss, anders zu sein, dann ist es manchmal besser, diese Andersartigkeit wie eine Trophäe zu tragen. Sie nicht abzuschwächen, sondern zu unterstreichen, stolz auf sie zu sein. Menschen respektieren sie dann eher. Deshalb bin ich auch immer ein toleranter Mensch gewesen, denn ich war ohnehin ein Außenseiter, der bunte Hund.

Wurdest du dir dadurch früher als andere der sozialen Konstruktion von Geschlecht bewusst? Definitiv. Das ist etwas, mit dem ich mich sehr früh auseinandersetzen musste. Auf der Straße wurde oder werde ich immer für weiblich gehalten. Ich war früher mit ein paar Frauen in einer Punkband, und viele dachten dann, wir wären so was wie eine Girlgroup. Dementsprechend sind Leute mit uns umgegangen. Davor hatte ich mir über Gender-Themen noch nicht so viel Gedanken gemacht, auch nicht über die Ungleichbehandlung der Geschlechter. Dann erfuhr ich es plötzlich aber am eigenen Leib. Kein CIS-Mann kann sich überhaupt nur die Kämpfe vorstellen, die man ausfechten muss, wie herablassend man zum Beispiel von manchen Tontechnikern behandelt wird. Ich bekomme Sachen mit, die andere nie erleben. Diese Erfahrungen schärfen meine Persönlichkeit. Ich erwarte nicht, dass jeder Mensch sich mit Gender-Themen oder Machtverhältnissen auskennt, aber alle sollten lernen, toleranter und feinfühliger zu sein, was das betrifft. Eigentlich ist es echt verrückt, weil diese Kategorisierung, die Identifikation auf einem binären Spektrum, bei bestimmten Dingen meiner Ansicht nach eigentlich keine Rolle spielt. Beim Musikmachen zum Beispiel. Ich bin ein Musiker, die Leute müssen nicht wissen, ob ich ein Junge oder ein Mädchen, ob ich schwul, hetero oder bi bin.

Interview: Jan Noll

24.08., 21:00, Privatclub

Album: Shamir, Ratchet (XL Rec./Beggars/Indigo)

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