Berlin

Lageso: Auf viel Chaos folgt viel Hilfsbereitschaft

22. Aug. 2015

Immer mehr Menschen auf der Flucht kommen nach Berlin – und treffen mit der Senatsverwaltung und LaGeSo auf überforderte Behörden und fehlende Konzepte für den Andrang. Gut zu wissen, dass auch viele LGBTI-Einrichtungen mit anpacken

Vergangenen Mittwoch präsentierte der Bundesinnenminister die neuen Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für 2015. Demnach werden nicht mehr 450.000 sondern bis zu 800.000 Flüchtlinge und Asylsuchende bis Jahresende erwartet, gut 40.000 davon in der Hauptstadt. Dass Berlin seit Jahren ein funktionierendes Gesamtkonzept in der Flüchtlingspolitik fehlt, macht die Situation für die Menschen, die auf Suche nach Asyl hier ankommen, nicht gerade einfach. „O-Platz“, „Gerhart-Hauptmann-Schule“ und nun „LaGeSo“: Seit Anfang August berichteten die Medien täglich über hunderte Menschen, die vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin-Moabit bei Wind und Wetter – insbesondere anhaltender Hitze mit Temperaturen weit über 30 Grad – stunden-, manchmal gar tagelang ausharren mussten, bis ihr Anliegen bearbeitet werden konnte. Das LaGeSo ist zentral für alle in Berlin ankommenden Flüchtlinge und Asylsuchenden zuständig – um sich zu registrieren, Asylanträge zu stellen und die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehende Versorgung mit Unterkunft, Gesundheits- und finanziellen Leistungen zu erhalten.

Viel zu wenig Personal und viel zu wenige Erstunterkünfte sorgten für die chaotische Lage, in der es auch schon zu Rangeleien mit Polizei und Sicherheitsdienst auf dem Gelände kam. Mittlerweile entspannt sich die Situation etwas – auch weil sich zahlreiche Menschen vor Ort engagieren. Unter Koordination der Bürgerinitiative „Moabit hilft“ verteilten freiwillige HelferInnen in den vergangenen Wochen unter anderem Wasser, Lebensmittel und Spielsachen an die im Freien Wartenden – darunter viele Familien mit Kindern. Daneben bleibt abzuwarten, ob der vom Senat am 11. August verabschiedete landesweite „Koordinierungsstab Flüchtlingsmanagement“ die zunehmend lauter gewordene Forderung, die Flüchtlingsfrage endlich zur „Chefsache“ zu machen, langfristig erfüllt.

Unter den Helfenden sind auch viele LGBTI-AktivistInnen und -Organisationen. Das Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) beim LSVD hat vor zehn Tagen eine Sommerakademie mit Deutschkursen für queere Flüchtlinge gestartet. Projektleiterin Jouanna Hassoun ist nur schwer erreichbar, da sie täglich in Moabit vor Ort ist. MILES hat in Kooperation mit der Berliner Aidshilfe die Koordination der medizinischen Erstversorgung vor der LaGeSo übernommen. „Für die queeren Flüchtlinge habe ich ein besonders sensibles Auge, aber wir versorgen natürlich alle“, sagt Hassoun. Angefangen hatten sie und HelferInnen „die ersten Wochen im August noch mit einigen Kisten und Wannen mit gespendeten Medikamente“, seit Freitag gibt es nun endlich einen Medizinraum.

Verfolgung, Flucht und Asyl beschäftigen die diversen LGBTI-Einrichtungen der Stadt. Entsprechende Kontakt- und Beratungsstellen für queere Flüchtlinge gibt es unter anderem bei MILES, der Schwulenberatung und LesMigras. Letztere arbeitet gerade an der Vorbereitung von Schulungen, um Mitarbeiter von Sozialdiensten in den Sammelunterkünften für die Situation von Geflüchteten LGBTIs zu sensibilisieren, „weil dort viel Diskriminierung und Gewalt gegenüber LGBTIs herrscht“, erklärt Jay Keim von LesMigras. Auch soll ein Infoblatt zu Beratungsmöglichkeiten und Treffpunkten demnächst herauskommen und in den Unterkünften ausgelegt werden.

Das Problem sicherer Unterbringung für queere Flüchtlinge ist ein zentrales Handlungsfeld. Bereits bei einem ersten Vernetzungsabend im Dezember, zu dem der LSVD gemeinsam mit der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) eingeladen hatten, wurde das in den Diskussionen deutlich (SIEGESSÄULE. DE berichtete). Die Berliner Schwulenberatung stellte damals ihre Idee vor, eine sichere Unterkunft eigens für LGBTI-Flüchtlinge zu gründen. Auf Nachfrage erzählt Stephan Jäkel , dass man immer noch auf der Suche nach geeigneten Objekten sei. „Wir bleiben da weiter dran, auch im Kontakt mit dem LaGeSo, aber die sind gerade selbst überfordert, da kriegen wir nichts vermittelt“, so Jäkel. Neben eigenen Bemühungen um sicherere Unterbringungsmöglichkeit versucht die Schwulenberatung in Zusammenarbeit mit den anderen LGBT-Einrichtungen „ein Standbein" in einer neu zu gründende Arbeitsgruppe zu bekommen, die vom Senat beauftragt wird, ein Konzept für die Gruppe der besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge zu erarbeiten. „Wir wollen da unbedingt mit rein, um auf der strukturellen Ebene anzudocken“ sagt Jäkel, „denn der Senat hat zugesagt, auch LGBTIs in diese Gruppe, die eigentlich klar umgrenzt ist, einzubeziehen.“

Zu den besonders Schutzbedürftigen zählen EU-weit gefolterte, gewaltbetroffene, vergewaltigte, schwertraumatisierte, schwangere, minderjährige und behinderte Flüchtlinge. Ein kleiner Lichtblick zeichnet sich jetzt schon ab. „Die Situation vor dem LaGeSo hat auch dazu geführt, dass eine neue Unterkunft für besonders Schutzbedürftige mit 308 Plätzen in Lichterfelde noch im August eröffnet wird, am Mittwoch war schon mal Richtfest“, freut sich Jay Keim, „auch wenn das bei Weitem nicht ausreicht wenn man sieht, wie viele Menschen täglich kommen“.

Melanie Götz

Informationen rund um Möglichkeiten zur Hilfe und Bedarfslisten koordiniert „Moabit hilft“ unter berlin-hilft-lageso.de

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