COMMUNITY

„Es geht nicht um Sex, sondern um die Partner*innenwahl“

20. Sept. 2015
(c) CSD Deutschland e.V.

Von einem Arbeitskreis des CSD Deutschland e.V. kommt der Vorschlag, nicht mehr von „sexueller Vielfalt“, sondern von „menschlicher Vielfalt“ zu sprechen. Wir haben bei Vorstandsmitglied Marc-Pierre Hoeft nachgehakt

„Sexuelle Vielfalt“ statt „menschliche Vielfalt“: Das damit verbundene Anliegen eines Arbeitskreises im CSD. e.V.: weniger Angriffsfläche bieten. Aus der Community gab es dafür harte Kritik, etwa von der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) (Siegessäule.de berichtete). CSD-Deutschland-Vorstandsmitglied Marc-Pierre Hoeft im Interview.

Ihr wollt nicht mehr von „sexueller Vielfalt“ reden. Das ist doch ein Einknicken vor "besorgten Eltern" und Homo-Hassern. Ganz im Gegenteil. Es ist nicht unser Bestreben, den Begriff „sexuelle Vielfalt“ zu ersetzen. Wir haben aber festgestellt, dass in der öffentlichen Diskussion zwei Themen immer wieder vermischt werden: LGBT-Lebensweisen und sexuelle Praktiken. Die Wörter „sexuell“ und „Aufklärung“ sind im allgemeinen Sprachgebrauch mit der Durchführung des Geschlechtsaktes verbunden. Das ist und war aber nie Ziel des Bildungsplans.

Aber „sexuelle Vielfalt“ ist doch viel konkreter.
„Sexuell“ wird von der breiten Masse der Gesellschaft ausschließlich mit der Durchführung des Geschlechtsaktes verbunden. Ist es unser Ziel, uns als LSBTTIQA Community darauf zu reduzieren, wie wir Sex haben? Nein. Erstens werden Menschen mit Trans* Hintergrund unsichtbar gemacht, da die geschlechtliche Vielfalt nicht thematisiert wird. Zum anderen ist nicht der Geschlechtsakt ausschlaggebend, sondern (bei Lesben, Schwulen und Bisexuellen) die Partner*innenwahl. Zu glauben, dass Heterosexuelle z.B. keinen Analverkehr hätten, ist doch naiv. Wenn wir als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden wollen, sollten wir uns nicht auf „wie ficken die“ reduzieren, sondern uns mit all unseren menschlichen Aspekten einbringen.

Daher euer Vorschlag „menschliche Vielfalt“...
Hinzu kommt auch immer die Frage nach dem „wann“. In Kindergarten und Grundschule sollte es darum gehen, dass Kinder lernen, respektvoll miteinander umzugehen. Dazu gehört, dass es völlig selbstverständlich ist, dass im Nachbarhaus Menschen mit einer anderen Hautfarbe wohnen, die Tante mit einer Frau zusammenlebt, es Menschen gibt, die im Rollstuhl sitzen und sich auch Männer küssen. Wenn wir dieses im Grundschulalter vermitteln können, haben wir sehr viel gewonnen. Wenn es dann mit der Pubertät losgeht, könnte dann der Überbegriff „menschliche Vielfalt“ in seine einzelnen Komponenten aufgedröselt werden: „ethnische Vielfalt“, „Vielfalt der Weltanschauungen“ und eben auch „geschlechtliche Vielfalt“ und „sexuelle Vielfalt“.

Sollten auch die Wörter „schwul“ oder „lesbisch“ oder „homosexuell“ ersetzt werden, weil manche Leute sie nicht mögen oder mit Pädophilie assoziieren?
Es geht hier nicht darum, welche Wörter gemocht werden oder nicht. Es geht hier um Eindeutigkeit und um missverständliche Ausdrücke, die in letzter Konsequenz uns selber schaden. Wir arbeiten lieber daran, dass „schwul“ bald kein Schimpfwort mehr auf Schulhöfen ist. Auch dies ist ein Grund, warum uns der selbstverständliche Umgang mit LGBT-Lebensweisen im Schulunterricht ab der ersten Klasse so am Herzen liegt.

Müssen Lesben und Schwule über ihren Sex schweigen oder ihn verniedlichen, um gesellschaftsfähig zu werden? Ist das Private nicht mehr politisch?
Das Private ist solange politisch, wie es gesellschaftlich oder politisch nicht akzeptiert ist. Darum ist öffentliches Händchenhalten eines schwulen Pärchens leider immer noch politisch. Aber das Politische dabei ist, dass zwei Männer eine Beziehung führen und dieses auch nach außen dokumentieren. Nicht politisch ist dabei, wie ihre sexuellen Praktiken aussehen. Noch einmal: es gibt keine schwule, lesbische oder bisexuelle Sexpraktik, die nicht auch von Heterosexuellen ausgeführt wird. Nicht der Geschlechtsakt unterscheidet uns, sondern die Partner*innenwahl.

Wie geht es nun weiter?
Bislang handelt es sich lediglich um die Überlegungen eines Arbeitskreises, die keine Auswirkungen auf die CSDs oder andere LSBTTIQA-Gruppen haben. Sobald der Arbeitskreis das Feedback sortiert hat, wird dies mit Vereinsmitgliedern vom CSD Deutschland e.V., dem Projekt 100% MENSCH und weiteren LGBT-Organisationen diskutiert. Vielleicht wird es noch ein paar weitere Vorschläge geben, vielleicht kommt es auch zu keinem Konsens. So oder so freuen wir uns über Rückmeldungen, sobald wir weitere Überlegungen zu diesem Thema kommunizieren können. Gern auch persönlich – es muss ja nicht immer gleich ein offener Brief sein.

Interview: Malte Göbel

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