Berlin

Übergriffe auf queere Geflüchtete

30. Sept. 2015

Es war ein politisches Novum. Als der Berliner Senat Anfang August ein umfangreiches Konzept zur Versorgung und Integration von Geflüchteten vorlegte, wurde erstmalig in Deutschland in einem Beschluss einer Landesregierung postuliert, dass LGBTI-Geflüchtete eine besonders schutzbedürftige, soziale Gruppe sind.

Erstmals werden queere Geflüchtete in Deutschland anerkannt

„Das gab es bislang noch nicht und daher finden wir es erstmal gut, dass dieser Punkt in dem Senatskonzept auftaucht. Denn diese Anerkennung ermöglicht weitere Schritte für LGBTI-Geflüchtete“, kommentiert Stefan Jäckel von der Schwulenberatung den Beschluss. Doch der Satz in dem 30-seitigen Papier klingt unkonkret und vage: Darin heißt es, dass um der Schutzbedürftigkeit und den Bedürfnissen von LGBTI-Geflüchteten gerecht zu werden, „im Rahmen des Gestaltungskonzepts für den Bau von Gemeinschaftsunterkünften in modularer Bauweise besondere Maßnahmen vorgesehen“ sind.

Für Stefan Jäckel von der Schwulenberatung geht diese Formulierung nicht weit genug: „Zur Zeit ist das einfach ein Satz, in einem Konzept, der bei den Angestellten des Landesamts für Gesundheit und Soziales, die über Leistungen zu entscheiden haben, noch keine Relevanz hat“, meint er gegenüber SIEGESSÄULE.DE. Daher sei man nach wie vor auf den guten Willen der einzelnen MitarbeiterInnen angewiesen, dass LGBTI-Geflüchteten eine besondere Hilfe zukommt. Dies sei jedoch zu wenig.

LGBTI-Geflüchtete sind physischer Gewalt ausgesetzt 

Es bedürfe nun konkreter Schritte, da queere Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften immer wieder Übergriffen ausgesetzt sind: „Unsere Erfahrungen zeigen ganz deutlich, dass alle, die zu uns kommen, von Gewalt, Anfeindungen, Beschimpfungen, bis hin zu physischer Gewalt in den Flüchtlingsheimen berichten“, sagt Stefan Jäckel. Auch Jouanna Hassoun von Miles, dem Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule in Berlin, bestätigt diesen Eindruck. „Erst letzte Woche gab es wieder Gewaltvorfälle gegenüber zwei Trans*personen. Sie wurden in den Notunterkünften so schwer misshandelt, dass einer Person sogar der Arm gebrochen wurde“, sagt sie. Um diese gewaltsamen Übergriffen auf LGBTI-Geflüchtete zu verhindern, könne eine separate Unterkunft eine Lösung sein. „Aber es gibt auch dezentrale Ansätze, wie beispielsweise das Projekt Flüchtlinge willkommen, welches versucht, Geflüchtete in private Haushalte zu integrieren“, erklärt Hassoun. Sie begrüßt das Konzeptpapier des Berliner Senats zwar grundsätzlich, sieht aber noch konkreten Handlungsbedarf: „Ich finde es gut, dass die besondere Schutzbedürftigkeit von LGBTI-Geflüchteten im Konzept Erwähnung findet, aber leider ist es aufgrund der desolaten Lage am Landesamt für Gesundheit und Soziales bislang reine Theorie. In der täglichen Praxis sieht es noch anders aus.“

Isabel Lerch

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