Bühne

Folterkammer der Erinnerungen

3. Okt. 2015
„Les Contes d’Hoffmann“ (c) Monika Ritterhaus

Ein älterer Mann hockt inmitten eines Flaschenmeeres – alle leer, Hochprozentiges war drin, dieser Mann ist total blau. Er weint der Geliebten nach, das Jammertal öffnet sich zur persönlichen Geisterbahn. All die schmerzlich unerfüllten Lieben seines Lebens kommen zurück, ein Horrortrip im Delirium tremens. Willkommen in der Welt von E. T. A. Hoffmann: Barrie Kosky zeigt an seinem Haus, der Komischen Oper Berlin, diesmal keine der zahlreichen Operetten Offenbachs, sondern dessen einzige Oper „Les Contes d’Hoffmann“, seit langem ein Dauerbrenner im Genre.

Kosky gestaltet die Tragik der gescheiterten Liebesversuche Hoffmanns drastisch, indem er die Rahmenhandlung nicht wie sonst in einer niedlichen Weinkneipe ansiedelt, in der Hoffmann seine Erzählungen unter fröhlichen, boshaft hämischen Zechern zum Besten gibt. Nein, hier ist ein Mensch total am Ende, allein, unfähig überhaupt zu agieren und verloren in der Folterkammer seiner Erinnerungen. Zu diesem Zweck hat Kosky den Hoffmann aufgeteilt: Er wird von zwei Sängern und einem Schauspieler dargestellt. Die vier Frauenrollen werden stattdessen von nur einer einzigen Sängerin übernommen, von der grandiosen Nicole Chevalier, die hier virtuos aus dem Vollen schöpft: Sei es als Puppe Olympia mit einer umwerfend zwitschernd-komischen Nummer oder als die von ihrem teuflischen Zuhälter angetriebene Femme fatale Giulietta.

Das Problem für die Regie bei „Les Contes d’Hoffmann“ ist immer der Episodencharakter dieser Oper. Letztlich sind es drei eigenständige Geschichten mit einer Rahmenhandlung. Auch bei Koskys Lesart gibt es trotz vieler starker Momente stellenweise Durchhänger in der Spannungskurve. Auch die eingeführten Bezüge zu Mozarts „Don Giovanni“ sind zwar reizvolle Querverweise, gehen aber auf Kosten der Stringenz. Und indem der Protagonist Hoffmann von Anfang an als Vereinsamter, als Außenseiter gezeigt wird, was ansonsten in der Wirtshaus-Szenerie der Rahmenhandlung erst im Verlauf immer deutlicher wird, gibt es hier keine Entwicklung der Figur. Als besondere Sichtweise dieser mehrdeutig-rätselhaften Oper ist Koskys Ansatz dennoch sehr ambitioniert. Und musikalisch und darstellerisch zeigen sich die Solisten, das Ensemble und das Orchester sowieso in absoluter Bestform.

Eckhard Weber

Nächste Aufführungen: 07.10, 19:30, 11.10., 18:00, 14.10., 19:30, 18.10., 16:00, 25.10., 18:00, 07.11., 27. 11., jeweils 19.30, Komische Oper Berlin

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