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Die „Sissy“ wird eingestellt

5. Okt. 2015
Jan Künemund © Johann Peter Werth

Ein weiteres queeres Printmedium wird es zukünftig nicht mehr geben: Die „Sissy“, das Magazin für den nicht-heterosexuellen Film, wird eingestellt. Fast sieben Jahre lang war es vierteljährlich im Salzgeber-Verlag unter der redaktionellen Leitung von Jan Künemund erschienen. In langen essayistischen Texten wurde dort über fast sämtliche queeren Kinostarts und ganz allgemein queeres Kino geredet. Immerhin wird zur Zeit über eine mögliche Online-Ausgabe des Magazins diskutiert. SIEGESSÄULE-Redakteur Andreas Scholz hat mit Jan Künemund über die Anfänge der „Sissy“, das schwullesbische Kino der letzten Jahre und das vorläufige Ende des Magazins gesprochen.

Jan, aus welchen Beweggründen heraus, habt ihr 2009 die „Sissy“ ins Leben gerufen? Ein Grund war der Frust darüber, wie das Thema queerer Film in den traditionellen Medien behandelt wurde oder bzw. gar nicht mehr vorkam. Es gab da wenig Plätze, wo grundsätzlicher darüber gesprochen wurde. Auch in den queeren Medien schien die Luft raus, weil worüber will man noch reden, wenn alles weitgehend emanzipiert und sichtbar ist. Wir haben uns also bei Salzgeber die Frage gestellt, warum interessiert das Thema keinen mehr, warum interessiert sich niemand für unsere Filme. Aber wir wollten nicht einfach nur rumjammern, sondern selbst konstruktiv etwas auf die Beine stellen. Als Filmverleih sind wir natürlich Marktteilnehmer und wollen unser Programm vermitteln. Also haben wir gesagt: wir müssen selbst beweisen, dass queerer Film ein Thema ist.

Wie seid ihr dem Konflikt begegnet, sowohl Verleih für queere Filme zu sein, in dieser Funktion aber auch seriös und unabhängig berichten zu können? Habt ihr die eigenen Filme ebenfalls kritisch unter die Lupe genommen? Wir haben uns entschieden, auf eine bestimmte Art und Weise über das Queer Cinema zu reden, sowohl über unsere eigenen Filme als auch die der anderen. Die Texte sollten generell Lust machen auf das Erlebnis Kino. Wir wollten keine Verrisse veröffentlichen und haben die Autoren und Autorinnen gebeten, nicht einfach eine pseudoobjektive Wertung abzugeben, an deren Ende dann eine Note wie Drei minus steht, sondern sie sollten herausarbeiten, was man an den Filmen schön finden kann. Das haben viele auch umgesetzt, ohne dass sie den Eindruck hatten, sich dabei verbiegen zu müssen.

Aber ist es nicht auch wichtig, gegenüber bestimmten Filmen klar Stellung zu beziehen? Bei schwullesbischen Filmen, die wir ziemlich unqueer fanden, versuchten wir noch einmal anders an die Sache heranzugehen. Da haben wir dann dem Regisseur oder der Regisseurin die Möglichkeit gegeben, in einem Interview darzustellen, wieso er oder sie den Film auf diese Weise inszeniert hat, zum Beispiel bei Kreuzpaintners „Coming In“ – oder wir haben Pro- und Contra-Meinungen gegenübergestellt wie bei „Parada“. Wir wollten den Leuten damit sagen: „Geht ins Kino und schaut selbst hin, bildet euch eure eigene Meinung. Wir geben euch nicht vor, wie ihr den Film zu finden habt."

„Filme jenseits des schwullesbischen Spektrums sind viel wahrnehmbarer geworden“

Als ihr die „Sissy“ 2009 ins Leben gerufen habt, wart ihr davon überzeugt, dass es auch LeserInnen für eure Inhalte geben wird? Das war total experimentell. Wir wussten, dass sich einige Salzgeber-Kunden von uns einen Katalog wünschten, aber ob sich wirklich Menschen für so ein Magazin mit langen Texten interessieren würden, konnten wir nicht einschätzen. Wir hätten auch nie gedacht, dass die Sissy als journalistisches Medium ernst genommen werden würde und dass von Anfang an auch hochkarätige Journalisten dafür schreiben wollten.

Warum habt ihr euch Magazin für den nicht-heterosexuellen Film genannt anstatt Magazin für queeres oder schwullesbisches Kino? Warum dieses sperrige Wort? Wir haben uns für das Wort Heterosexualität im Titel entschieden, als einen Begriff, den wir markieren wollten. Normalerweise wird ja eher umgekehrt ein Film als homosexuell gelabelt, um herauszustellen, dass er nicht der heterosexuellen Norm entspricht. Natürlich ist es schon ein ziemliches Wortungetüm, das entsprach aber auch unserem Humor.

Wie hat sich aus deiner Sicht in den letzten knapp sieben Jahren, in denen du die „Sissy“ betreut hast, queeres Kino verändert? Bestimmte Aspekte von queerem Leben sind sichtbarer als früher. Es gibt viel mehr Trans*Cinema, Filme jenseits des schwullesbischen Spektrums sind viel wahrnehmbarer geworden. Mich verwundert, dass die großen queeren Mainstreamfilme der letzten Jahre alle historische Stoffe aufgegriffen haben. Das fängt bei „Brokeback Mountain“ an und geht bis „Carol“. Das sind Filme über gewonnene Schlachten, versöhnliche Rückblicke, aber queeres Kino sollte Dinge ja eher in Frage stellen. Dann gibt es Filme oder Serien wie „Looking“, die keine großen Twists mehr haben oder ausgefeilte Handlungen. Sie schauen eher beobachtend auf gegenwärtige Bereiche queeren Lebens und hoffen, dass Leute das auch spannend finden. Manchen fehlt da eine starke Geschichte oder sie fragen sich: „Wo ist denn da noch der Konflikt?“ Diese Filmemacher sehen sich aber eben nicht mehr in der Rolle, für die Community zu sprechen.

Aber fehlt nicht gerade heute im Kino so eine laute kämpferische Kraft oder queere Avantgarde-Bewegung gegenüber diesen meist sehr leisen und bürgerlich geprägten Filmen zum Beispiel eines Andrew Haigh („Weekend“, „Looking“), die queeres Leben eher still observieren? Bürgerlich finde ich das nicht, das präzise Zeigen von Dingen außerhalb der Norm ist ja auch politisch und das schlägt sich auch in anderen Erzählweisen nieder. Aber viele Leute vermissen natürlich ein Kino, das so unangepasst und punkig war wie das New Queer Cinema der 90er-Jahre, das ja sehr schnell mainstreamisiert worden ist. Ich finde es aber falsch, da Grabenkämpfe zwischen diesen beiden Formen aufzumachen: Also ein „exzessives, punkiges Kino“ gegen den „langweiligen Alltagskram“! Viel schlimmer finde ich die zunehmende Heteronormalisierung von queeren Stoffen.

„Ein kostenloses Magazin wie die „Sissy“ war von Anfang an ein Luxus!“

Wo findet diese Heteronormalisierung statt? Letztlich überall da, wo queere Geschichten reibungslos in herkömmliche Erzählmuster überführt werden, wie man sie aus dem Mainstream kennt, der natürlich heteronormativ strukturiert ist. Das führt dann eben zu so gewalttätigen Maßnahmen wie „Stonewall“ für ein heterosexuelles Publikum aufzubereiten, indem man nach Hollywood-Verkaufslogik meint, den historischen Beitrag von Nicht-Weißen und Nicht-Cis-Männern schmälern zu müssen. Es gibt sogar queertheoretische Ansichten, die sagen, dass letztlich auch jede Coming-out-Geschichte vor allem dazu dient, einen alternativen Lebensstil ins heteronormative Gesellschaftsbild zu integrieren.

Was hat nun eigentlich zum Ende der „Sissy“ geführt? Das waren mehrere Sachen, die zusammenspielten. Ein kostenloses Magazin wie die „Sissy“ war von Anfang an ein Luxus! Wir versuchten das als Teil unserer Arbeit für Salzgeber einfach mitzumachen, ich die Redaktion, unser Grafiker das Lay-out, der ganze Betrieb den Vertrieb, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Aber es war finanziell immer ein ganz schöner Posten, vor allem nachdem die AbonnentInnen-Zahlen immer mehr zugenommen haben. Dann zahlten wir natürlich Texthonorare, weil wir den Leuten nicht sagen wollten: „Macht es bitte für die gute Sache!“, wie es ja häufig in der Szene der Fall ist. Dann kam dazu, dass sich abzeichnete, dass ich bei Salzgeber aufhöre. Und es war natürlich aufwendig, die „Sissy“ als klassisches Print-Medium zu veröffentlichen. Eigentlich böte eine Online-Ausgabe eine größere Chance, die Texte mit audiovisuellen Inhalten zu verknüpfen.

Gibt es denn Pläne für eine Online-Ausgabe? Wir würden die „Sissy“ gerne online fortführen, aber das liegt noch in der Schwebe. Es ist zum Beispiel ein Problem, diese sehr langen, sorgfältig aufbereiteten Texte so online zu stellen, dass man sie auch in diesem Medium lesen will. Auf alle Fälle möchten wir aber ein „Sissy“-Buch konzipieren, weil viele Ausgaben bereits vergriffen sind.

Interview: Andreas Scholz

sissymag.de

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