SIEGESSÄULE PRÄSENTIERT

Endspurt: Die Ausstellung „Homosexualität_en“ läuft nur noch bis zum ersten Dezember

16. Nov. 2015
SIEGESSÄULE-Redaktion Andreas Scholz, Jan Noll, Christina Reinthal, Kaey Kiel (v.l.)

Kurz vor Ende der großen Doppelausstellung im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum* zieht die SIEGESSÄULE-Redaktion ein persönliches Fazit

Im Juni war sie mit großen Erwartungen eröffnet worden: die große Doppelausstellung „Homosexualität_en“ in kongenialer Zusammenarbeit zwischen Deutschem Historischen Museum und Schwulem Museum*. Kurz vor Ende der Laufzeit wollen wir ein Fazit ziehen. Die MitarbeiterInnen der SIEGESSÄULE-Redaktion mit ihrer jeweils ganz persönlichen Meinung zur Ausstellung:

Christina Reinthal, Chefredaktion

Ganz unabhängig von der Ausstellung selbst war allein die Eröffnung im Juni ein äußerst wichtiges Ereignis. Hier wurde klar: Homosexualität, ihre Geschichte, die von der Community ausgefochtenen Kämpfe werden nicht nur innerhalb ihrer selbst sondern nun auch von der Gesamtgesellschaft wahrgenommen und gewertschätzt. Die Aufteilung in historische Exponate und „Kunst“ finde ich hinlänglich. Es wird klar: Kunst ist – gerade beim Thema Emanzipation (gemeint ist die von Homosexuellen, Frauen, Trans*) – immer auch politisch und historisch. Die Ausstellung schafft es, einen in ihren Bann zu ziehen – durch gelungene Installationen in beiden Häusern. Sie klärt auf ohne zu belehren. Für mich rundum gelungen.

Die „Homosexualität_en“-Ausstellung ist für mich ein wichtiges Ereignis gewesen. Die Verankerung queerer Lebensweisen, queerer Geschichte und Kultur in einem Haus wie dem Deutschen Historischen Museum, im Herzen der Stadt und ihrer kulturellen Institutionen, ist und bleibt ein epochales Ereignis. Die historischen Artefakte der Communitygeschichte im DHM gaben einen gelungenen Eindruck von wichtigen Stationen der LGBTI-Emanzipation in Deutschland. Auch die in einer akustischen Installation eingebrachten, vielfältigen Diskriminierungsaspekte hinterließen bei mir einen bleibenden Eindruck. Trotz toller Exponate fasste der Ausstellungsteil im Schwulen Museum* meiner Ansicht nach den Homosexualitätsbegriff etwas zu weit, weshalb sich nicht alle Kunstwerke in ihrer Relevanz für das Thema erschlossen. Auch die (fast gänzliche) Abwesenheit der Thematik HIV und Aids, eine der größten Katastrophen der schwulen Geschichte, empfand ich als schmerzlich. Insgesamt eine wichtige, eine gelungene Schau, die dem unheimlich komplexen und vielschichtigen Thema über weite Strecken gerecht werden konnte.

Jan Noll, Chefredaktion

Andreas Scholz, Redaktion

Wenn etwas an dieser Ausstellung begeistert, dann ist es die überraschende Selbstverständlichkeit, mit der queere, lesbische, schwule und feministische Perspektiven zusammengebracht und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten in das Konzept miteingebunden werden. Und dennoch will der letzte Funke nicht so ganz überspringen. Denn auch wenn es jede Menge zu entdecken gibt, so manches Exponat lässt einen ratlos zurück: Inwieweit zum Beispiel mit Farbe besprenkelte Tierfotos einen spannenden Blick auf Homosexualität oder Queerness eröffnen, erschließt sich nur bedingt. Und gerade bei einer Ausstellung, die sich einer derartigen Vielfalt an Themen stellt, wird der vielgerühmte nicht lineare Aufbau auch etwas zur Verständnishürde: so erscheinen die Exponate oft wie zufällig aneinandergereihte Kultursplitter, denen es durch die Präsentation an einer gegenseitigen Vertiefung und stärkeren Kontextualisierung fehlt.

I enjoyed checking our the exhibit at the DHM, but I was not blown away. Aside from the fact that the overall presentation was rather dry, my biggest critique is one that has already been expressed by others: that the exhibit conflates (homo)sexuality with gender and feminism. Of course these concepts relate to each other, but I think the curators' decision to pile everything together led to a general lack of focus. It was fascinating to see some original Hirschfeld publications, it was cool to see dildos on display in a museum setting, and it was fun recognizing a few of my friends in photos and videos, but I don't feel like there was much in the way of new insight or recontextualization. (There were also lots of errors in the English text accompanying the pieces.) Homosexualities was big, but not great. But of course, it's hard to be definitive without falling short.

Joey Hansom, English editor

Frank Hermann, Redaktion

Dass der Querschnitt durch einige Jahrzehnte Geschichte letzten Endes nicht vollkommen war, und manches nur angerissen hat – geschenkt. Der Beweis dafür, dass zum Thema noch sehr viel mehr gezeigt werden kann und muss: Die Audio-Sektion im ersten Stockwerk mit den hate speeches, kaum erträglich, aber von trauriger Aktualität. Mein Lieblingsstück ansonsten: die Installation „The Experiment“ von Elmgreen und Dragset. Der Junge in Pumps mit rotbemalten Lippen vor einem Spiegel. Treffender können die Entdeckung der eigenen Sexualität mit all ihrer Verunsicherung und zugleich der erwachende Narzissmus nicht porträtiert werden. Spätestens da hätte ich mein Coming-out gehabt, wenn es dazu nicht längst zu spät wäre. Apropos Narzissmus: In der ABC-Abteilung hat mich bei der Wand mit verschiedenen schwulen Presserzeugnissen besonders gefreut, dass ausgerechnet die letzte Ausgabe von Männer-aktuell, an der ich mitgearbeitet habe (Oktober 1998), dabei war.

Mir hat an der Ausstellung besonders gefallen, dass man versucht hat, von einer chronologischen Aufreihung größtenteils abzusehen. Im DHM hat mich der Raum, in dem Überlebende der Konzentrationslager porträtiert werden, emotional sehr berührt und mitgenommen. Im Schwulen Museum* gefällt mir die Mischung der unterschiedlichen Kunststile sehr. Die Go-Go-Tanzplattform der Künstlerin Elaine Sturtevant, die dort ausgestellt ist, würde sich sicherlich auch in der SIEGESSÄULE-Redaktion gut machen. Was mich allerdings ein wenig stört, ist das Plakat. Meiner Meinung nach wird hier das Thema trans* ganz offensichtlich für etwas anderes instrumentalisiert. Zwar versucht die Ausstellung auch einige trans* Perspektiven zu beleuchten jedoch bin ich der Meinung, dass man mit diesem Plakat nicht das Thema Homosexualität wirklich wiedergibt.

Kaey, Redaktion

Manuela Kay, Verlegerin

Ich bin sehr stolz darauf, dass wir mit unseren Medien Siegessäule und L-MAG Medienpartner dieser bahnbrechenden Ausstellung sind. Das passt wie die Faust aufs historische, aber auch aufs zukunftsweisende Auge! Ganz persönlich fand ich es wunderbar, als Lesbe mal nicht in einer LGBTI-Veranstaltung unterrepräsentiert zu sein. Ich habe den lesbisch-feministischen Aspekt der Ausstellung sehr genossen, weil er undogmatisch daherkommt und nicht auf Kosten anderer, deren Platz dadurch eingeschränkt wird, geht, sondern im Gegenteil echte Vielfalt zeigt.

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