Kultur

Morddrohungen für Falk Richter: Der Regisseur über sein Theaterstück „Fear“

20. Nov. 2015
„Fear“ an der Schaubühne (c) Arno Declair

Falk Richters Stück „Fear“, das rechtspopulistische Bewegungen und Parteien wie Pegida und die AfD thematisiert, hat heftige Reaktionen verursacht. Dem Regisseur wurde mit Mord und Gewalt gedroht, es gab Schmierereien vor dem Theater und zahlreiche Briefe, die die Absetzung der Inszenierung forderten. Die meisten der Absender haben laut eigener Aussage das Stück gar nicht gesehen. Da Richter zu Zeit auf Reisen ist, haben wir das folgende Interview mit ihm per E-Mail geführt

Ihre neue Produktion FEAR an der Schaubühne hat vielfältige Reaktionen und Kommentare ausgelöst, darunter gerade auch viel Unsachliches. Fangen wir also am besten ganz von vorne an: Worum geht es in dem Stück?
Seit einer gewissen Zeit sind in Europa ideologische Veränderungen spürbar. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie sind wieder zurückgekehrt. Rechtspopulistische Parteien gewinnen an Stimmen und ziehen in die Parlamente ein. Seit dem Terror der NSU und den Protestbewegungen der Pegida und der AfD sind auch in Deutschland rechtsnationale Tendenzen wieder manifest geworden, die mitunter zu extremistischen Radikalisierungen geführt haben: Flüchtlingsunterkünfte wurden angegriffen, es kam zu Übergriffen gegenüber der Polizei, Journalisten und Flüchtlingshelfern, zu Straßenblockaden und Ressentiments gegenüber Ausländern, Asylbewerbern oder gegenüber Muslimen sind gewachsen. Auf der „Demo für alle“ wird gegen die Aufklärung über sexuelle Vielfalt in Schul-Lehrplänen, gegen Regenbogenfamilien demonstriert und werden Therapien für Homosexuelle gefordert, um sie von ihrer „Krankheit“ zu heilen. Mit all dem setze ich mich in meinem Stück künstlerisch mit sehr viel Humor und den Mitteln der Parodie und Satire auseinander. Ganz konkret auch mit den führenden Köpfen dieser neuen reaktionären Bewegungen.

Offensichtlich haben Sie damit einen Nerv getroffen. Die Schaubühne hat nun eine Presseerklärung zu den Reaktionen auf FEAR herausgegeben. Warum dieser ungewöhnliche Schritt?
Es kam zu Morddrohungen, Hassmails, Nazischmierereien vor der Kassenhalle, Störungen der Vorstellung durch den AfD-Pressesprecher, und der Androhung, das Theater abzubrennen. Auch eine Petition, die die Absetzung des Stückes forderte, tauchte im Internet auf. So sollte Druck ausgeübt werden, um das Theaterstück abzusetzen. Und in der Tat kamen dann auch zahlreiche E-Mails von Leuten, die das Stück nicht gesehen hatten, mich aber oft wirr und völlig hysterisiert angriffen, mich beleidigten und mir völlig abstruse Dinge vorwarfen, die mit mir und meinem Stück absolut nichts zu tun haben. Aber ich denke, genau so arbeiten ja AfD, PEGIDA und „Demo für alle“. Sie versuchen Menschen, die sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen, einzuschüchtern. Bürgermeister, die Flüchtlingsunterkünfte bereitstellen wollen, bekommen Morddrohungen. Politiker, die sich gegen Diskriminierung von Homosexuellen in der Schule einsetzen, werden bombardiert mit Beschwerde- oder Droh-E-Mails, es wird völlig unsachlich am eigentlichen Thema vorbei mobil gemacht in Foren und Netzwerken. Das ist die Art, wie sie agieren. Das, was ich jetzt erlebe, ist kein Einzelfall.

Welche der Reaktionen haben Sie persönlich am meisten bewegt? Mich hat vor allem schockiert, dass fast ausschließlich ein nationalsozialistischer Jargon benutzt wird in den Hass- und Schmähmails. Die Verfasser leben in einem seltsam paranoiden Paralleluniversum voller Verschwörungstheorien, voller Halbwissen und Fehlinformationen. Extrem angstgetrieben, alles ist ihnen Bedrohung. Ein Dialog ist nicht möglich. Ich habe ein paar Mal versucht, sehr sachlich, höflich und offen zu antworten, und meine Position darzulegen, und einen Dialog zu eröffnen, aber es ist meist völlig hoffnungslos.

„FEAR“ zeigt sich als engagiertes Theater mit Agitprop-Charakter. Ist es damit nicht schon darauf angelegt, klar Position zu beziehen und Kontroversen zu verursachen?
Mit dem Stück ging es mir vor allem darum, dazu beizutragen, dass die demokratische Mehrheit der Gesellschaft sich mit der neuen Bedrohung von Rechts ernsthaft auseinandersetzt und begreift, dass sie sich positionieren muss. Ich befürchte, dass sich das politische Klima, das mit den sich radikalisierenden neuen Rechten in Deutschland eingezogen ist, weiterhin verschärft. Mehr als 500 Asylbewerberheime haben gebrannt, es gab ein Attentat auf eine Bürgermeisterkandidatin, Journalisten werden tätlich angegriffen oder verbal bedroht. Jetzt gilt es zu gucken, dass jede Straftat, die sie begehen, verfolgt wird, dass man härter gegen volksverhetzende Statements und Gewalt vorgeht. Der Rechtsstaat muss die Zivilgesellschaft zumindest gegen die Extremisten dieser rechtsnationalen Bewegung schützen. Dass meine klare Positionierung den Rechtsnationalen und den christlichen Fundamentalisten nicht gefallen würde, war abzusehen. Dass sie mir Morddrohungen schicken und drohen, das Theater abzubrennen, hatte ich nicht erwartet und das geht auch entschieden zu weit.

Die beschriebe Art der Inszenierung unterscheidet sich in seiner Direktheit und Rohheit und seinem Kampfgeist doch stark von Ihren anderen Stücken. Empfinden Sie das auch so und wenn ja, gibt es dafür vielleicht auch einen persönlichen Grund?
Die Inszenierung hat sehr viele sehr poetische, schöne, sanfte Momente. Im Übrigen muss ich auch mal sagen, dass es sehr viel Zuspruch für die Inszenierung gibt. Die Zuschauer sind begeistert, es gibt Standing Ovations. Die Kritik kommt ja ausschließlich von Leuten, die die Aufführung gar nicht gesehen haben. Es sind eher die Momente, in denen es um dieses abstruse Hasssprechen von AfD, PEGIDA und der „Demo für alle“ geht, wo es lauter, schriller, roher zugeht. Das liegt am Stoff: Die menschenverachtenden Parolen der AfD und der paranoide, fundamentalchristliche wahnhafte Diskurs der „Demo für alle“-Mitläufer, die gegen die Aufklärung zur sexuellen Vielfalt im Schulunterricht mit wirklich absurd komischen Slogans durch die Straßen ziehen und Therapien für Homosexuelle fordern, um sie von ihrer „Krankheit“ zu heilen und Sätze sagen wie „Gender bringt Gericht Gottes, bringt Strafe des Herrn“ und dabei keine Ahnung haben, was eigentlich in den gender studies wissenschaftlich untersucht wird, all das sind einfach Vorlagen um inszenatorisch mit gröberen Mitteln, also mit den Mitteln der Parodie und Satire zu reagieren.

Auch die Schauspielerinnen und Schauspieler sind in „FEAR“ weitaus persönlicher eingebunden als in konventionellen Produktionen. Inwieweit haben sie zu den Inhalten des Stücks beigetragen und wie gehen sie jetzt mit den Reaktionen darauf um?
In all meinen Arbeiten sind die Schauspieler und Tänzer mit eingebunden mit ihren persönlichen Geschichten, Ideen, mit dem, was sie beitragen bei den Proben in Improvisationen, mit Fremdtexten oder eigenen Texten, die sie mitbringen. Bei „FEAR“ haben wir ja vor allem mit Recherchematerial und Originaltexten gearbeitet, und dann in einigen Momenten sehr persönliche Geschichten der Performenden dagegengestellt. Mein Eindruck ist, dass es ihnen gut geht mit der Vorstellung und den Reaktionen des Publikums.

„FEAR“ präsentiert sich ganz bewusst als eine Art selbstreflexives Work-in-Progress. Werden die nächsten Vorstellungen im Januar die aktuellen Diskussionen mit aufnehmen?
Ich finde meine Inszenierung gut und richtig so, wie sie ist, und werde daher nichts rausnehmen oder abschwächen. Eventuell werde ich versuchen, die Angriffe, die von rechter Seite gegen mich und das Stück gekommen sind, zu thematisieren. Das werde ich mit meinem Ensemble besprechen. Ich denke, ich werde all die Mails und Postings, mit denen Druck auf mich ausgeübt werden sollte, mit ihnen gemeinsam lesen und dann entscheiden, inwieweit diese Mails auch interessantes Material für die Bühne liefern, um die Diskussion über das sich verschärfende politische Klima und die Gewaltbereitschaft der rechtsnationalen Bewegungen, aber auch deren Sprache, die immer an nationalsozialistischen Jargon erinnert und tief in antidemokratischem Denken verwurzelt ist, zu vertiefen.

In fast all Ihren Stücken geht es immer auch um queere Thematiken und Lebensentwürfe. In „Small Town Boy" aber werden sie zum Hauptthema. Warum haben Sie ausgerechnet die Gorki-Produktion als Titel für Ihre frisch erschienene Stückesammlung ausgewählt?
In meinem neuen Buch erscheinen die fünf Stücke, die ich in den letzten zweieinhalb ziemlich rastlosen Jahren geschrieben habe. Neben „Small Town Boy“ sind das noch „For the disconnected child“, „Never Forever“, „Complexity of Belonging“ und „Zwei Uhr nachts“. Meine Figuren sind allesamt Small Town Boys und Girls. Sie stehen vor einem schwindelerregenden Spektrum an Optionen einer digital verzweigten Welt. Schwanken zwischen Verlustängsten und der Sehnsucht nach Selbstverwirklichung. Sehnen sich nach Liebe, Nähe, Zugehörigkeit. „Small Town Boy“ ist sicher das persönlichste von all diesen Stücken. Da geht es noch mehr als sonst um mein Leben, meine Jugend, meinen Aufbruch nach Berlin und mein Leben hier in dieser Stadt. Nach all dem Wirbel um meine Inszenierung „FEAR“ freue ich mich, dass ich mit dem isländischen Popsänger Helgi Jonsson, den ich wahnsinnig schätze, und dem Ensemble des Gorkis zusammen eine Konzertlesung mit Helgis Musik und meinen Texten auf der Bühne des Gorkis machen und dort mein neues Buch live vorstellen kann. Ein Abend mit Freunden für Freunde.

Interview: Carsten Bauhaus

Im Januar 2016 wird „Fear“ wieder in der Schaubühne gespielt.

Konzertlesung „Small Town Boy“ mit Falk Richter und Helgi H. Jónsson, 05.12., 22:30, Maxim Gorki Theater

Falk Richter (c) Esra Rotthoff

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