Kommentar

„Dieser Weg wird kein leichter sein“

24. Nov. 2015
Sascha Osmialowski ist Journalist und arbeitete Backstage beim ESC in Düsseldorf

Spätestens seit Conchita Wurst und den Diskussionen um russische Beiträge wissen wir: Der Eurovision Song Contest ist auch ein politisches Event. Insofern war es mehr als ungeschickt vom NDR, Xavier Naidoo als direkten Kandidaten für den ESC 2016 in Stockholm zu bestimmen. Der erfolgreiche Mainstreamkünstler und Hyperchrist war immer mal wieder bei Veranstaltungen rechtskonservativer Systemkritiker unangenehm aufgefallen. Nun sollte er für Deutschland singen. Klar, das würde Schlagzeilen geben. Zu Recht.

Mit welcher Rasanz und Unreflektiertheit Xaivier Naidoo in den sozialen Netzen zum homophoben Vorzeigenazi hochstilisiert wurde, ist allerdings unfassbar. Es schien, als hätte man nur auf einen Anlass gewartet, Naidoo endlich mal einen einschenken zu können. Im Windschatten: LGBT-Rechtler und Homo-Eurovisionsfans, seit jeher nicht unbedingt Kernzielgruppe für bibeltreuen Kuschel-Hip-Hop. Letztere fühlten sich vor allem vom NDR um ihr Mitbestimmungsrecht bei der Interpretenauswahl betrogen. Doch darum ging es in den Online-Petitionen nur peripher. „Ein Verschwörungstheoretiker, der die Souveränität Deutschlands verleugne. Und homophob dazu.“ So einer dürfe nicht die deutschen Farben vertreten.

Musikalisch war mir Xaivier Naidoo eher egal. Der kommt in meinem Pop-Portfolio einfach nicht vor. Zu schmusig, zu glatt, zu konform, zu wenig ironisch. Trotzdem respektiere ich seine Arbeit: Der kann singen, er hat sich erfolgreich in die A-Liga der deutschen Unterhaltung hochgeschmust. Thomas Schreiber, Unterhaltungskoordinator der ARD dachte, er landet den großen Coup. Er schien gut vorbereitet auf die erwartete Kritik: „Xavier Naidoo ist weder rechtspopulistisch noch homophob oder antisemitisch … Xavier Naidoo steht seit Langem für Werte wie Frieden, Toleranz, Liebe.“ Pustekuchen, die Netzwelt sah das anders. Nur: Was hat Xaivier Nadoo dieser Gesellschaft, ganz konkret der LGBT Community bisher angetan außer unsagbar schmalzigem Bibelpop?

Ja, seine Auftritte bei Verschwörungstheoretikern lassen aufhorchen. Unreflektierte Fehltritte eines konservativen Dödel. So einer MUSS ein Homohasser sein. Der Beleg schien schnell gefunden: 2012 wurde ein Teil des Rapsongs „Wo sind sie jetzt“ von Xavier Naidoo und Co-Autor Kool Savas als homofeindlich ausgelegt. Die beiden entschuldigten sich: „Zuerst möchten wir all unsere Sympathie und unseren großen Respekt gegenüber allen Schwulen und Lesben weltweit bekunden (...)“ Vielleicht ist nicht jeder bibellesende Konservative automatisch ein Homohasser? Im Sommer 2015 unterzeichnete Naidoo zusammen mit anderen Künstlern eine Petition für die Homo-Ehe. Wer sich weiter durchs Netz klickt, merkt: Der Typ engagiert sich für Flüchtlinge, für Kinderheime, für seine Heimatstadt. Das macht seine Musik nicht besser, relativiert aber die Meinungsmache der letzten Tage.

Donnerstag lobte Thomas Schreiber Naidoo als perfekten Verteter für ein tolerantes Deutschland. Zwei Tage später knickt Schreiber vor dem medialen Shitstorm ein. Er lässt Naidoo fallen und gibt so allen Kritiken ein ungeahntes Gewicht. Eine ESC-Teilnahme wird plötzlich zum Politikum. Ein Armutszeugnis. Welche Künstler soll jetzt noch freiwillig zum ESC fahren? „Helene Fischer!!!“, höre ich meine ESC-Fanclub-Freunde schon erregt aufschreien. Wie denkt die eigentlich über Homosexualität, die deutsche Verfassung und die aktuelle Flüchtlingssituation?

Sascha Osmialowski

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