Bewegungsmelder

Eine Frage des Menschenrechts!

29. Nov. 2015
Dirk Ludigs @ Tanja Schnitzler

Warum es nicht reicht sich einzureden, die #EheFürAlle sei ein Naturgesetz

Vor einem Monat besuchte ein großer, kleiner Mann der LGBT-Geschichte Deutschland. Leider haben das nicht sehr viele mitbekommen. Das ist sehr schade, denn Evan Wolfson konnte viel darüber erzählen, wie man an einer Sache dranbleibt, durch Siege und Niederlagen unbeirrt Kurs hält, andere überzeugt und sich am Ende gegen alle Widerstände durchsetzt. Der Mann hat zweiunddreißig Jahre lang für die Öffnung der Ehe in den USA gekämpft, die Kampagne „Freedom to Marry“ gegründet und geleitet, bis er endlich im Juni dieses Jahres den Laden dichtmachen konnte wegen: „Ziel erreicht!“ Drei Dinge braucht man, sagt Wolfson, um in einer Sache wie #EheFürAlle erfolgreich zu sein: Eine Bewegung, eine Strategie und eine Kampagne.

Nun kann man darüber streiten, ob die geschätzten 400 LGBT-Gruppen und Vereine in Deutschland, die, so werde ich den Eindruck nicht los, fast alle den mehr oder minder größeren Teil ihrer Zeit damit verbringen ihre Organigramme zu malen, noch oder schon als Ehe-Bewegung durchgehen, aber sagen wir mal, sie könnten ja wenigstens eine Basis dafür bilden. Was es ganz sicher gibt, ist eine Bereitschaft vieler Menschen sich für das Wahre, Edle und Gute zu engagieren, das sieht man ja gerade in Sachen Flüchtlinge. Zu Anfang, sagt Wolfson, müssten sich gar nicht mal so viele bewegen. Nur müsse man sie eben auch „bewegen“, damit sie sich bewegen.

Und da genau liegt in Deutschland der Hund begraben. Während weltweit im Aufwind internationaler Erfolge Ehe-Aktivist*innen mit Verve die Mauern der Ungleichheit erstürmen – Kolumbien schickt sich als Nächstes an, die rechtlichen Diskriminierungen von Schwulen und Lesben zu beenden – macht sich im Land der Schlafmütze und des Pantoffels die Haltung breit, man müsse nun wirklich nichts mehr tun, außer vielleicht den letzten verbliebenen CDU-Falken zuschauen wie sie den sterbenden Schwan tanzen. Der geschätzte Kollege Micha Schulze verkündet auf Queer.de: „Die Ehe-Öffnung kommt so oder so.“

Wolfson würde ihm antworten: „An jedem Tag, an dem die Gleichheit vor dem Gesetz nicht Realität ist, sterben Menschen, die diese Gleichheit nicht mehr erleben können, wir haben keine Zeit zu warten. Wir müssen kämpfen.“

In Wolfsons Kampf ging es um US-Bundesstaaten, die es zu gewinnen galt, um Wahlen, Volksentscheide, Gerichte und Verfahren. Es ging darum, wie man die Herzen und die Köpfe der Menschen erobert. Aber es ging immer und von Anfang an um das Menschenrecht: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Mensch muss die Ehe als Institution nicht mögen, aber wer sie einer Sorte Menschen zugesteht, darf sie der anderen nicht verweigern. Das war der Leitfaden im Kampf um Ehegleichheit in den USA.

Hierzulande kann man sich die Tatsache schönreden, dass stramme Gegner von gestern heute in einem eben so miesen wie leicht durchschaubaren Taschenspielertrick die Lebenspartnerschaft zu einer Institution mit Verfassungsrang erklären wollen: Sie tun es, um Deutschland auf ewig zu einem Menschenrechtsverletzer zu machen. Alte und neue Rechte und seit neuestem auch noch die Rechtsaußen-Homo-Trolle der fünften Kolonne bestimmen seit Jahren die Debatten und zwingen uns ihre Diskurse auf; darüber, wie gut oder schlecht Schwule und Lesben Kinder großziehen können; über Bauchgefühle und Kirchensakramente, darüber, ob Unterschiedliches nicht unterschiedlich behandelt werden müsse und so weiter.

Wir lassen uns auf ihre inhaltsleeren Scheinargumente ein, als glaubten wir selbst, wir seien noch Kinder, man müsse uns erst etwas gewähren und wir müssten uns dafür noch bewähren. Aber Menschenrechte kann man weder gewähren, noch außer Kraft setzen. Man kann sie nur vorenthalten. Auch das kann man von Wolfson lernen, oder wenigstens mal wieder gesagt kriegen, wenn man ihm denn zuhört.

Es gibt keine Strategie zur Ehe-Öffnung in Deutschland. Das ist die blamable Lage. Ohne Strategie keine erfolgreiche Kampagne. Von nichts kommt aber nichts. So wie die Dinge stehen, mit einer CDU/CSU, die bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag das Zepter dieser Demokratie in den Händen halten wird und einer Opposition inklusive der derzeit am Katzentisch sitzenden Sozialdemokraten, die jederzeit auf den Residuen ihrer Kriechspur wegzugleiten droht, mit einem LSVD, der seit Jahren die gleichen Empörungsrituale pflegt, als halte er ein religiöses Hochamt, werden in Deutschland noch viele Menschen sterben, ohne die Gleichheit vor dem Gesetz je gesehen zu haben. Bis heute ist die Eheöffnung nicht einmal vor dem Bundesverfassungsgericht eingeklagt. Die einzigen, von denen bekannt ist, dass sie für die Anerkennung ihrer Ehe durch die Instanzen schreiten, sind, wen wundert’s, verheiratete Ausländer, die von deutschen Behörden „runtergestuft“ wurden.

Die Kampagne zur Ehe-Öffnung in Deutschland, die derzeit hinter den Kulissen hoffentlich endlich und fleißig erarbeitet wird, braucht eine auf der Menschenrechtsfrage basierende Strategie, die alle möglichen Wege nutzt und feststellt: Die Sache eilt. Wir müssen nicht beweisen, dass Schwule und Lesben gute Eltern sind. Wir müssen und werden uns nicht mit einer gleich gestellten Lebenspartnerschaft zufrieden geben, denn sie wird kommenden Generationen die menschenfeindliche Botschaft übermitteln: Die da sind nicht gleich und Menschen zweiter Klasse.

In Zeiten wie diesen, in denen der Nazi-Spuk in neuem Gewand an den Grundfesten Nachkriegsdeutschlands rüttelt, müssen wir die Ehe-Frage zu dem machen, was sie ist: Eine Frage des Menschenrechts! Sie ist akut, denn auch an ihr wird sich entscheiden, ob Deutschland auf dem nach 1945 eingeschlagenen Weg bleibt, ein Teil des Westens und seiner Werte zu sein – oder ob dieses Land von anderen, die mutiger, aktiver und besser organisiert sind als wir, wieder zu einem seiner fürchterlichen Sonderwege geführt wird.

Dirk Ludigs

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