WELT-AIDS-TAG

Recht auf Therapie

1. Dez. 2015
Sergiu Grimalschi ist Referent für Migrationsarbeit bei der Berliner-Aids-Hilfe © Jason Harrell

Circa einmal pro Woche besucht Sergiu Grimalschi die Zentrale Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin für AsylbewerberInnen. Der Sozialarbeiter und Referent für Migration bei der Berliner Aids-Hilfe (BAH) hat dort eine traurige Mission: Er hält Ausschau nach Menschen, die von ihrer Aidserkrankung bereits so schwer gezeichnet sind, dass für ihn ein kurzer Blick genügt, um zu wissen: Hier muss dringend geholfen werden. Immer wieder bringt er betroffene Geflüchtete direkt ins Krankenhaus. Großen Handlungsbedarf sieht Sergiu aber auch bei allen Flüchtlingen, die zwar gesund sind, aber wenig über Ansteckungsmöglichkeiten und Safer Sex wissen. Grund dafür ist die aus europäischer Perspektive erstaunliche Tatsache, dass Aids etwa in Syrien praktisch kaum eine Rolle spielt. Das Virus ist dort nicht weit verbreitet. Laut offiziellen Angaben leben gerade einmal 5.000 Betroffene in der Region. „Die Prävention bei Flüchtlingen ist für uns eine sehr wichtige Aufgabe“, sagt Sergiu deshalb und denkt dabei gerade auch an junge schwule Männer, die nach Berlin kommen und sich hier möglicherweise in Risikosituationen begeben. Neben der Unwissenheit über das Virus gibt es jedoch ein weiteres Problem: Homosexualität ist in den meisten Herkunftsländern wenn nicht verboten, dann zumindest extrem tabuisiert. Sergiu macht sich deshalb keine Illusionen. Von selbst und aus freien Stücken werden nur die wenigsten in die HIV-Beratung der Berliner Aids-Hilfe kommen oder das Test-Angebot nutzen.

„Wir müssen hier von uns aus in die Offensive gehen“, erklärt der erfahrene Sozialarbeiter, der vor 25 Jahren selbst als rumänischer Migrant nach Berlin kam. Offensiv sein heißt zum Beispiel, dass sich Sergiu und seine KollegInnen, von denen viele ehrenamtlich aktiv sind, an Unterkünfte wenden, in denen unbegleitete männliche Jugendliche leben. Ohne das Thema „Homosexualität“ beim Namen zu nennen, werden die Geflüchteten in die Räume der BAH eingeladen, um über Gespräche und Vorträge scheinbar ganz beiläufig eine Message vermittelt zu bekommen: Passt auf euch auf!

Ein anderer Bereich der HIV-Migrationsarbeit von Sergiu beschäftigt sich jedoch auch mit HIV-positiven bzw. aidskranken Menschen, die entweder aus anderen EU-Ländern nach Deutschland gekommen sind oder aber aus Drittländern, die von der Regierung als sichere Herkunftsstaaten bewertet wurden. Aus Ländern also, die vom Asylverfahren per se ausgeschlossen sind. Im Unterschied zu anerkannten AsylbewerberInnen haben alle anderen Einwanderer und Einwandererinnen keinen Anspruch auf staatliche Gesundheitsversorgung. „EU-BürgerInnen ohne Arbeit, Illegalisierte, ehemalige TouristInnen, SprachschülerInnen, Menschen, die aus der Haft entlassen werden, sie alle fallen durch das Raster und sind nach wenigen Jahren ohne jegliche medizinische Versorgung in akuter Lebensgefahr“, fasst Sergiu das Problem zusammen. Die Berliner Aids-Hilfe hat deshalb ein Beratungsangebot aufgebaut und dabei darauf geachtet, dass durch die MitarbeiterInnen möglichst viele Sprachen abgedeckt werden. „Wir versuchen für jeden Menschen einen Weg in die Legalisierung zu finden und begleiten ihn in der schwierigen Zeit, in der er keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hat“, sagt Sergiu.

Es ist also einiges in Bewegung und dabei ist es der BAH wichtig zu betonen: Kein Mensch kommt nur deshalb nach Deutschland, um hier seine Aidserkrankung behandeln zu lassen. Denn während in England, in Spanien und in Frankreich ein Anrecht auf HIV-Therapie für alle besteht, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, werden Betroffene in Deutschland nach wie vor im Stich gelassen. Die Berliner Aids-Hilfe pocht deshalb schon lange darauf, dass der Staat endlich Verantwortung übernimmt. Sergiu wird dabei sehr deutlich: „Wir wünschen uns, dass wir uns bald nicht mehr schämen müssen, weil im Vorzeigeland Deutschland Menschen an Aids sterben, nur weil sie und ihre Krankheit hier nicht vorgesehen sind.“

Daniel Segal

berliner-aidshilfe.de

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