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Lesbenberatung im Interview: „Sexuelle Gewalt ist so gut wie kein Thema“

22. Jan. 2016
Jennifer Petzen © Lesbenberatung

Jennifer Petzen, Geschäftsführerin der Lesbenberatung, im Gespräch über den Umgang mit sexualisierter Gewalt

LesMigras ist der Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlin, für den wir in diesem Monat bei unserer SIEGESSÄULE-Lounge „frisch gepresst“ Spenden gesammelt haben. Das Szeneprojekt setzt sich im besonderen für die Bekämpfung der Diskriminierung von lesbischen und bisexuellen MigrantInnen, Schwarzen Lesben und Trans* ein als auch ganz allgemein von lesbischen und bisexuellen Frauen. SIEGESSÄULE hat mit Geschäftsführerin Jennifer Petzen über sexualisierte Gewalt, Gewaltprävention und die Vorfälle in Köln gesprochen

Welche Konzepte verfolgt LesMigraS, um sexualisierter Gewalt zu begegnen? Für uns stehen die Sicherheit, die Bedürfnisse und Interessen der Betroffenen im Vordergrund. Wir unterstützen LSBTIQs, die sexualisierte Gewalt erleben, darin, diese Gewalterfahrungen zu beenden.

Wie sieht diese Hilfe ganz konkret aus? Falls es nötig ist, kümmern wir uns um medizinische Versorgung, zum Beispiel darum, dass ein Arzt oder eine Ärztin besucht wird bzw. dass die Betroffenen ein Attest bekommen. Wir informieren sie über ihre Rechte. Falls sie rechtliche Schritte gegen die TäterInnen unternehmen wollen, helfen wir ihnen dabei. Wir begleiten sie auch zur Polizei, zu RechtsanwältInnen und Behörden. Nach Bedarf unterstützen wir sie dabei, eine sichere Unterkunft, zum Beispiel in Frauenhäusern, zu bekommen. Wir begleiten sie dabei, sich ein unterstützendes Umfeld aufzubauen, auf das sie immer wieder zurückgreifen können.

Warum fällt es den Betroffenen so schwer mit dem Thema umzugehen? Zum einen liegt es daran, dass sich die Betroffenen schämen. Viele Opfer gehen nicht zur Polizei. Zudem unterstellt man ihnen oftmals eine Mitschuld oder es wird ihnen gar nicht erst geglaubt. Aus den Erfahrungen von Frauenberatungsstellen und Frauennotrufen wissen wir, dass sogar bei den angezeigten sexuellen Nötigungen und Vergewaltigungen die wenigsten Täter verurteilt werden. Die Zahl liegt hier gerade einmal bei neun Prozent. Zudem ist sexualisierte Gewalt so eine massive Verletzung der Persönlichkeit und Körper, dass es den Betroffenen schwer fällt, darüber zu sprechen und in die Öffentlichkeit zu gehen.

Ist das Thema sexualisierte Gewalt und auch Mobbing in der Szene ein Tabu? Ja. Wir wollen aber, dass sich alle wohlfühlen und finden es schwierig, dass schwarze Lesben, Bis, Trans*, Inter* und People of Colour Übergriffe schlucken müssen, wenn sie sich in der Szene aufhalten. Die Leute sind besoffen und werden übergriffig, weil sie vielleicht glauben, selbst lange genug für die sexuelle Emanzipation gekämpft zu haben. Aber queer zu sein ermächtigt niemanden, jemand anderen zu belästigen.

Worin liegen die Gründe für diese Art der Diskriminierung? Wir LGBTQIs sind genauso geprägt wie alle anderen. Und viele denken, dass sie gar nicht diskriminieren können, weil sie selbst queer sind. Soziologisch gesehen ist das natürlich Blödsinn. Wir sind nicht bessere Menschen, weil wir gleich- bzw. transgeschlechtliche Lebensweisen führen. Wir haben ja sogar Rechtspopulisten in unserer Community.

Wie können wir zu einen respektvolleren Umgang miteinander finden? Wir dürfen nicht aufhören miteinander zu reden, wir brauchen viel mehr Präventionsarbeit. Schon in den Schulen ist sexuelle Gewalt so gut wie kein Thema. Wo erfährst du zum Beispiel, dass die Hälfte aller Frauen in Deutschland schon einmal sexuell belästigt worden sind? Was in Köln während der Sylvesternacht passierte, ist schlimm. Allerdings gab es auch sehr viel sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen bei den Kölner Karnevals und Oktoberfesten. Ebenso passiert diese Form der Gewalt in Familien und dem nahen sozialen Umfeld. Diese Ereignisse werden aber eher geduldet und selten skandalisiert. Zudem kann strukturelle Gewalt, die in einer Gesellschaft auch juristisch verankert ist, von der Polizei überhaupt nicht gelöst werden. Das deutsche Strafrecht beinhaltet kaum Schutz vor sexuellen Übergriffen im öffentlichen Raum. Das hat natürlich eine Signalwirkung, nämlich die, dass auf der Straße alles möglich ist!

Habt ihr durch die Vorfälle in Köln jetzt mehr Aufmerksamkeit bekommen? Im Augenblick instrumentalisieren RechtspopulistInnen unser Anliegen. Trotzdem hoffe ich, dass die Gesellschaft in Zukunft mehr Opferunterstützung und Gewaltprävention betreibt. Auf einer politischen Ebene darf es nicht um die Ethnisierung der Übergriffe gehen. Frauen, die hier Gewalt erlebt haben, dürfen nicht für rassistische Debatten instrumentalisiert werden. Sexuelle Gewalt findet weltweit und überall statt. In Deutschland gibt es laut Bundeskriminalamt jährlich mehrere tausend registrierte Fälle von sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Als ich von Köln hörte, war mein erster Gedanke, wie bitte, wieso äußern sich PolitikerInnen gerade jetzt?! Irgendetwas stimmt da nicht ... Da müssen die Täter schon Muslime oder anders rassifiziert sein, damit es so einen Aufschrei gibt ...

Den Aufschrei hätte es nicht gegeben, wenn eine Horde Pegida-Anhänger erkennbar muslimische Frauen angegriffen hätten? Doch. Und auch das Ausmaß der Übergriffe ist sehr problematisch und inakzeptabel, klar. Trotzdem kann ich nicht sagen, dass mich das Ganze überrascht hat. Sexualisierte Gewalt ist einfach kein politisches Thema, es sei denn die Opfer sind weiß und die TäterInnen nicht. Und was unsere Community angeht: Ich habe manchmal das Gefühl, dass feministische Anliegen nicht mehr besprochen werden.

Das bedeutet genau? Ich würde mir wünschen, dass wieder mehr LGBTQI*s Perspektiven sozialer Gerechtigkeit einnehmen. Wir sollten uns gegen alle Formen von Diskriminierungen einsetzen, auch wenn eine Gruppe innerhalb der Community davon nicht so betroffen ist wie eine andere.

Also eine größere Sensibilität füreinander? Ja, mehr Offenheit und die Bereitschaft sich einzubringen.

Interview: Susann Reck/as

lesmigras.de

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